Klarsicht, aufwallend

Jedes Knistern, jedes Stühlerücken ein Kanonenschlag: Das Theater zum Westlichen Stadthirschen inszeniert mit „Trompete Galgen Feuerstrahl“ Texte von Patienten in der Nervenklinik Gugging als einen konsistenten Monolog

Hauchzart ist dieser Theaterabend unter dem abstrusen Titel „Trompete Galgen Feuerstrahl“ im Theater Zerbrochene Fenster. Hochkonzentriert, die Sinne fast schon überreizt, folgt man Dominik Bender vom Theater zum Westlichen Stadthirschen in die Geisteswelten psychisch Kranker. Bender, allein auf der Bühne, senkt seine Stimme bisweilen zum Flüstern. Jedes Knistern und Stühlerücken im Zuschauerraum wird da zum Kanonenschlag. Der Schauspieler agiert meist sparsam; er verfällt nicht der Gefahr des Illustrierens. Vielmehr hebt er die berückende Plastizität der Texte hervor. Sie stammen von Patienten Leo Navratils. Der Arzt ermunterte in den 70er-Jahren die – teils unter zweifelhaften Diagnosen – eingelieferten Insassen der niederösterreichischen Nervenklinik Gugging aus therapeutischen Gründen zur künstlerischen Betätigung. Dabei wurden die engen Beziehungen zwischen Psychose und Kreativität als der Nacht- und Sonnenseite der individuellen Innenwelt deutlich. Viele Gespräche mit seinen Patienten, die später zum Teil bekannte Künstler wurden, dokumentierte Navratil.

Aussagen von neun dieser Personen sie haben so sprechende namen wie Hans Grausam, August Walla oder Aurel hat die Regisseurin Hildegard Schroedter aus dem dialogischen Kontext herausgelöst und zu einem konsistenten Monolog verbunden. Bender vereint in seinem Spiel diese teils selbst multiplen Persönlichkeiten zu einer Art Hyper-Multiple. Eingangs ist diese Figur noch in einen Dialog mit einem imaginären Arzt verstrickt. Die Sprache ist brüchig und untertänig. Man glaubt, das deformierte Subjekt, den laut Foucault von den Kliniken erzeugten Kranken, vor sich zu haben.

Später, in den reinen Selbstgesprächen, schwingt sich die Sprache auch auf literarische Höhen. Der sauber gescheitelte und in einen altertümlichen Anzug gezwängte Mann schwankt zwischen Momenten der Klarsicht und den Aufwallungen der Psychose, die ihn in Welten tragen, die teils präzise ausgearbeitete alternative philosophische Modelle, teils eine Übertragung künstlerischer Techniken in die alltägliche Wahrnehmung sind. Er erzählt etwa, bei bewegten Objekten Feuerstrahlen zu sehen, die die Bewegung selbst visualisieren eine im Comic selbstverständliche Technik.

Ein anderer Patient bzw. Benders Figur in einem anderen Zustand behauptet, dass Götter klein wie fliegende Ameisen seien. Jeder Mensch habe einen solchen Gott in sich. Manchmal sehe man ihn auch aus dem Auge des Gegenübers herausfliegen. Wenn der Gott im Körper Radau mache und daher groß werde wie ein Vogel, sage man auch: „Der hat ja einen Vogel.“ Insgesamt inspirieren diese Bekenntnisse die Einsicht, dass die Welt tatsächlich verschieden erklärt werden kann. Es scheint aber auch auf, dass die alternativen Wirklichkeiten nicht nur faszinierend für den Betrachter, sondern ebenso Ausdruck des Leidens für den Betroffenen sind. Die Theatermacher lesen sie bevorzugt als Dokumente des Wissens, Wahrnehmens und Fühlens, die in den allgemeinen Erkenntnishorizont aufgenommen werden sollten.

TOM MUSTROPH

Bis 4.5., Mi bis Sa 20 Uhr 30, Theater zerbrochene Fenster, Schwiebusser Str. 16, Kreuzberg