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Aufschwung Pop

Der softe Standortfaktor: Europa rüstet in Sachen Pop für den globalen Wettbewerb mit den USA. Auch die deutsche Musikindustrie sucht deswegen nun den Schulterschluss mit der Kulturpolitik

Zu den Mythen der Globalisierung zählt, sie führe zur völligen Gleichförmigkeit

von DANIEL BAX

Wer Alizée sucht, wird in einem unauffälligen Hinterhaus im Berliner Bezirk Mitte fündig. Hier, im Exportbüro für französische Popmusik, analysieren drei Mitarbeiter den deutschen Musikmarkt und vermitteln Kontakte zwischen Konzertveranstaltern und Bands aus Frankreich, deren Tourneen das Büro sponsert. Finanziert wird die Außenstelle von französischen Plattenfirmen wie auch von den Ministerien für Äußeres und für Kultur. Die Lobbyarbeit hat sich ausgezahlt, glaubt Corinne Micaelli, die Leiterin des Büros: So hätten deutsche Plattenfirmen allein vergangenes Jahr 200 französische Produktionen mehr auf den Markt gebracht als noch im Jahr zuvor. Und dass sich Manu Chao, Daft Punk und die korsische Pop-Lolita Alizée auch hierzulande durchsetzen konnten, ist nicht zuletzt der Hartnäckigkeit des „Bureau de la Musique Française“ zu verdanken.

Grund zum Neid für deutsche Musikmanager, die es am Montag nur ein paar Straßenblocks weiter ins Wirtschaftsministerium, zum Kongress „Musik als Wirtschaft“, zog. Einige von ihnen träumen schon von einem deutschen Pop-Export-Büro in Paris, um im Gegenzug Namen wie Rammstein oder Xavier Naidoo auch im Nachbarland bekannt, berüchtigt, vielleicht sogar populär zu machen. Auch deswegen galt es am Montag, auf Einladung von Monika Griefhahn, der Vorsitzenden des Kulturausschusses des Deutschen Bundestags, mit Politikern auf Tuchfühlung zu gehen. Der Tagungsort war mit Bedacht gewählt, ging es doch darum, die wirtschaftliche Bedeutung der deutschen Musikbranche aufzuzeigen. Klaus Wowereit, Bürgermeister der finanziell darbenden Hauptstadt, sparte in seiner Eröffnungsrede denn auch nicht mit Superlativen für deren Potenz, pries sie als Imageträger für Tourismus und Stadtmarketing und warf mit Werbevokabeln wie „Zukunftsbranche“, „Gütesiegel“ und „Markenzeichen“ wie mit Konfetti um sich. Popmusik, so seine Botschaft, sei in Berlin ein harter Standortfaktor.

Balsam für die Seelen der anwesenden Branchenvertreter, schließlich möchten sie endlich ernst genommen werden. Im Vergleich zum Film, schon immer einem Lieblingskind deutscher Kulturpolitik, kann sich die Musikindustrie seit je stiefmütterlich behandelt fühlen. Zwar gilt der deutsche Tonträgermarkt, trotz aktueller Krisenstimmung, mit 2,6 Milliarden Euro Umsatz im vorvergangenen Jahr – nach den USA (17,10 Mio), Japan (6,50) und Großbritannien (2,90) – als viertgrößter Musikmarkt der Welt; auch geben die Deutschen allein für Konzertbesuche im Jahr mehr als doppelt so viel Geld aus wie für Kinokarten. Doch gerade weil hier alles Kommerz scheint, hat sich die Politik nie groß interessiert gezeigt. Dabei verhält sich die Musikszene fast spiegelbildlich zur Theaterlandschaft: Während ohne Subventionen kaum eine Theaterbühne im Lande überleben könnte, kommt zumindest der Popbereich mit einem Minimum an staatlicher Unterstützung aus, und wirft doch ungleich mehr Glamour ab, der letztlich sogar der nationalen Selbstdarstellung zugute kommt: siehe Love Parade.

Zu den Mythen der Globalisierung zählt ja die Vorstellung, sie würde zu völliger Gleichförmigkeit führen. Strukturell gesehen mag das sogar stimmen: Auch in der deutschen Plattenindustrie konzentriert sich die Wirtschaftsmacht in den Händen der üblichen Verdächtigen, der führenden fünf Weltkonzerne EMI, Warner, Sony, Universal und BMG, die zusammen für 90 Prozent des Umsatzes bürgen. Doch mehr als ein Drittel davon wird mit „lokalem“ Repertoire, mit deutschsprachigem HipHop, mit Techno oder schwäbischer Rockmusik umgesetzt: Das ist ein weit besseres Verhältnis als beim deutschen Film, der zudem ohne staatliche Finanzspritzen vor der Übermacht aus Hollywood wohl kollabieren würde.

Gerade im Popbereich ist Globalisierung also keineswegs gleichbedeutend mit restloser Amerikanisierung. Trotzdem geben die USA als stärkste Kulturindustrie auf dem Weltmarkt klar den Ton an, im wahrsten Sinne des Wortes: Sie sind auch auf dem Feld der Popproduktion eine Supermacht, die sich selbst genügt. Zwar absorbieren US-Plattenfirmen Trends und Talente aus der Peripherie, wie unlängst die kolumbianische Sängerin Shakira, die seitdem auf Englisch singt. Doch Konkurrenz aus dem Ausland hat es schwer, selbst wenn sie in der gleichen Sprache daherkommt. Neue Künstler aus Großbritannien bekommen in den Staaten inzwischen kein Bein mehr auf den Boden. Der Anteil britischer Popmusik, die in ihren besten Tagen auch in den USA hysterische Beatlemanien auszulösen vermochte, ist heute auf ein Rekordtief gefallen und dümpelt derzeit bei einem traurigen Prozent, wie Alison Wenham aus London bedauerte. Da kann Robbie Williams noch so sehr Frank Sinatra nacheifern.

Immerhin aber gelten britische Künstler im übrigen Ausland noch etwas, vor allem aber zu Hause: Die Mehrheit der Engländer gibt ihnen den Vorzug. Doch auch in Frankreich wird einheimische Klangkost favorisiert – nicht zuletzt aufgrund einer protektionistischen Radioquote, die ausländischen Pop begrenzt – wie überhaupt der Anteil des einheimischen Repertoires in fast allen Regionen der Welt überwiegt und in den letzten Jahren sogar noch gestiegen ist. In Japan stammen zwei Drittel aller verkauften CDs von inländischen Popstars, in der Türkei, Brasilien oder China liegt dieser Anteil noch wesentlich höher. Das ist auch ein Grund dafür, dass man auf Urlaubsreisen in den Musikgeschäften vieler Länder bis auf Britney Spears und Bon Jovi oft nur wenig bekannte Gesichter antrifft.

In Deutschland dagegen dominieren die Importstars, Deutschprachigkeit galt bis Ende der Achtziger sogar als regelrechtes Verkaufshindernis. Auch heute noch wird gut die Hälfte des Umsatzes aus einheimischen Produktion mit Interpreten wie Sarah Connor, Sasha oder den Guano Apes gemacht, die auf Englisch singen. Kein Wunder, dass hierzulande noch immer viele glauben, Globalisierung gehe mit kultureller Nivellierung einher.

Inzwischen hat sich die Ausgangslage für deutschsprachige Bands zwar gebessert – nicht zuletzt dank des Musiksenders Viva, der bewusst als Plattform für deutsche Produktionen ins Leben gerufen wurde, die heute rund 40 Prozent des Programms ausmachen – ein Erfolg auch von Viva-Chef Dieter Gorny, der statt an den Sinn von Quoten an eine Strategie des „Viel ist besser“ gaubt: Durch ein breites Angebot entstehe zwangsläufig auch eine Spitze, die schiere Quantität deutscher Produktionen führe also zu Qualität. Aus hundert Retortenstars, so die Logik, gehe einmal eben auch ein Xavier Naidoo hervor.

Der deutschen Musikindustrie ist das allerdings nicht mehr genug. Um die dramatischen Umsatzeinbrüche aufzufangen, die sie verzeichnet, seit nicht mehr jede CD, die über den Ladentisch geht, eine bereits bespielte ist, sucht sie nach neuen Rezepten und Märkten. Und setzt deshalb darauf, das lokale Repertoire zu stärken, weil es mehr Rendite verspricht. Darum klagte der Marktforscher Joachim Tresp in Berlin über die angeblich bis heute andauernde „Missachtung der deutschen Künstler“, während Dieter Gorny eine Stärkung der inländischen Produktion für erforderlich hielt, um „die Wertschöpfungskette im Inland“ zu halten und international konkurrenzfähig zu bleiben. Neue Subventionen seien dafür nicht erforderlich, nur ein kreativer Gebrauch der klassischen Instrumente: Mittelstandsförderung für Indie-Labels! Filmförderung auch für Videoclipproduzenten!

Letztlich läuft alles auf eine Stärkung dessen hinaus, was im Branchenjargon der Plattenfirmen gern „nationales Produkt“ heißt. Doch um jeden falschen Zungenschlag zu vermeiden, bevorzugte man in Berlin das englische Wort domestic oder sprach verschämt von „Vielfalt“, als ob es um den Erhalt vom Aussterben bedrohter Vogelarten ginge. Da wurde Gregor Stöckl, der neue Virgin-Chef, in der Musikwoche kürzlich schon deutlicher: Um wieder Boden zu gewinnen, müsse man in Zukunft mehr auf den deutschen Markt schielen und „im besten Sinne chauvinisticher agieren“. Wie soll sonst von deutschem Boden aus wieder ein Lied um die Welt gehen?

Ja, aber eignet sich deutscher Pop überhaupt als Exportgut? Oder hieße das nicht Coca-Cola in die USA tragen? Schon, aber Thomas M. Stein, dem Chef der BMG Europe, ist genau das gelungen. Er hat einst Giorgio Moroder, Boney M., Harold Faltermeier und Snap in den USA groß gemacht, und zuletzt gelang es ihm mit Lou Bega, der Marionette hinter dem Mambo Nr. Five“: 3,4 Millionen Alben verkaufte dieser in Amerika. Dass Deutsche auf dem US-Markt nur schwer bestehen könnten, liege aber auch an deren Mentalität, holte Thomas M. Stein zum Hohelied auf das Leistungsprinzip und die selbstausbeutungsbereiten Amerikaner aus, die sich nicht zu schade seien, zwei Jahre lang ohne Geld im Tourbus durch die Gegend zu gondeln, um irgendwann den Gipfel zu erklimmen. Die deutschen Künstler dagegen, verwöhnt und verzogen, wollten noch ihre Minibarrechnungen bezahlt haben!

Dass „Kultur und Wirtschaft derselbe Kampf“ sind, wie Frankreichs Exkulturminister Jack Lang einmal gesagt haben soll, dessen Geist bei dieser Tagung über seinem deutschen Wiedergänger Julian Nida-Rümelin zu schweben schien, mochte man in solchen Momenten nur schwer glauben. Der Kulturstaatsminister allerdings zeigte sich sensibilisiert für die Bitten der Musikindustrie, doch an einem Strang zu ziehen, aus gemeinsamem Interesse: nicht nur mit Blick auf die Bilanzen, sondern auch für das Bild der Deutschland AG in der Welt. Er sei bereit, gemeinsam mit der Branche Strukturen zu schaffen, wie diese es sich vorstelle, bekundete er. So sei ein gemeinsamer Fonds, etwa für ein Exportbüro oder andere Aufgaben, durchaus denkbar – vorausgesetzt, die Musikindustrie sei bereit, sich daran zu beteiligen. In anderen europäischen Ländern, in Frankreich, den Niederlanden, in Spanien, Italien und Skandinavien etwa, gebe es ja bereits vergleichbare Strukturen. Mit dieser Ankündigung dürfte sich die Lobbyarbeit der Musikindustrie, in deren Sinne kürzlich schon im Bundestag eine kleine Fragestunde stattfand, gelohnt haben.

Kürzlich war Dieter Bohlen mit Freundin in der Sendung von Johannes B. Kerner zu Gast und beklagte sich über den Mangel an Anerkennung: Noch immer warte er auf das Bundesverdienstkreuz, wo er doch mit seinen weltweiten Auftritten mit Modern Talking, etwa im Kreml, so viel für das Ansehen der Bundesrepublik getan habe. Am Montag ist er, ohne eigenes Zutun, diesem Ziel womöglich einen Schritt näher gekommen.

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