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„Ballbesitz ist Diebstahl“

Interview THILO KNOTTund STEFFEN GRIMBERG

taz: Herr Dembowski, vor zehn Monaten haben Sie zum Fan-Boykott der Premiere-Decoder aufgerufen. Leo Kirch ist pleite, Gratulation! Haben Sie darauf schon angestoßen?

Gerd Dembowski: Baff wollte eigentlich eine Presseerklärung abgeben mit dem Tenor: Jawohl, unser Decoder-Boykott hat Leo Kirch geschafft, wir sind schuld daran, dass Kirch Pleite gegangen ist. Aber so sehr auf die satirische Ebene wollten wir doch nicht gehen. Vor einem Jahr haben wir gesagt, dass sich Kirchs Pay-TV nicht durchsetzt. Ein bisschen freuen wir uns schon, dass der Mann, gegen den sich unsere Aktion gerichtet hat, jetzt weg vom Fenster ist. Aber andere werden nachkommen – ob es Rupert Murdoch ist oder ein Konglomerat aus Finanziers. Der Fußball hat eine steile finanzielle Karriere gemacht. Darüber täuscht die jetzige Schwankung nicht hinweg.

Kein schlechtes Gewissen?

Wieso? Baff war nur der Überbringer der Nachricht. Schlussendlich sind durch die scheinbare Geldausschüttung finanzielle Abhängigkeiten entstanden – jetzt haben wir noch mehr Geldjunkies da draußen, die befriedigt werden wollen.

Ist der Wert der Ware Fußball durch die Kirch-Pleite gesunken?

Das ist nur eine Konjunkturschwankung, die drastischer ausfällt, weil es bisher nur nach oben ging. Ich glaube nicht, dass der Fußball eine Chance bekommen hat, sympathischer zu werden und näher an die Menschen ranzukommen.

Dann war der Decoder-Boykott ja umsonst? Kirch ist zwar nicht mehr da, geblieben sind Kommerzialisierung und Übersättigung?

Wir Fans sind so etwas von unwichtig geworden. Wenn Uli Hoeneß vor einiger Zeit sagte, die Fans könnten zu Hause bleiben, die machen eh nur noch Dreck, dann sieht man, wie wenig Einfluss wir noch haben. Nämlich so gut wie gar keinen. Das sieht man auch daran, dass unsere Eintrittsgelder für viele Vereine immer unwichtiger werden.

Gehört Fußball dem Fan?

Ich könnte jetzt sagen: Ballbesitz ist Diebstahl, generell. Vielleicht sollte der Fußball enteignet werden. Aber rechtlich gehört wohl demjenigen der Ball, der die Fernsehrechte von den Vereinen erworben hat.

Von den Clubs, nicht von den Fans.

Die Fans sind Konsumenten – und nur die zehnte Geige. Wir können nur Denkanstöße geben, Seismograf sein, ohne uns zum reinen Kunden abwerten zu lassen.

Wenn die TV-Gelder ausbleiben, werden die Eintrittsgelder vielleicht wieder wichtiger?

In der ersten Liga sicher nicht. Da bleiben Eintrittsgelder unwichtig. Der Zuschauer ist nur Folklore, er sorgt für das gewisse optische Antlitz der Unternehmen.

Der Fan als Komparse.

Allein die Planungen mit den neuen Stadien für die WM 2006 im eigenen Land zeigen, dass wir nicht wichtiger werden. Das werden reine Sitzplatzstadien – gegen das Interesse vieler Fans, die nach der WM damit klarkommen müssen. Nur noch Sitzplätze, totale Überwachung wie in der Schalke-Arena.

Gilt die Schalke-Arena nicht als Stimmungshochburg?

Die Stimmung auf Schalke ist grausam. Das hat mit Fankultur nichts zu tun. Man versteht die Gesänge überhaupt nicht mehr. Das Stadion ist grausam konzipiert. Wie eine Ritterburg, eine Festung ohne Falltür. Es gibt nur einen Autoweg ins Stadion, keinen Fußgängerweg mehr. Gedränge an nur zwei Drehkreuzen für Auswärtige, eingespieltes Lautspecherklatschen. Auf Schalke herrscht absolute Kontrolle. Die Auswärtsfans werden direkt vor ihre Kurve gefahren, abgeladen, eingeladen und wieder abgefahren.

Für wen ist die WM sonst – wenn nicht für die Fans?

Das ist die Frage: „Für wen?“ Was bedeutet Fans für die Macher? Wir haben da einen Forderungskatalog.

Wie sieht der aus?

Es soll nicht nur Repressionen und null Toleranz geben. Wir sind für Kultur statt Knüppel. So eine Weltmeisterschaft ist doch auch Begegnung unterschiedlicher Kulturen. Natürlich muss es Kontrolle geben, aber auch kulturelle Angebote. Durch Kirch, durch das ganze Geld muss Fußball im Stadion zur kunterbunten Fernsehware zugerichtet werden. Er muss salonfähig werden. Es findet seit längerer Zeit ein ganz bewusster Austausch der Zuschauer statt – durch die Preiserhöhungen, durch die bloßen Sitzplätze. Entsprechend wird die Fankultur 2006 vermutlich völlig anders aussehen.

750 Millionen Mark hat Kirch pro Bundesligasaison gezahlt. Mit dem Geld wurden Stars verpflichtet, das Niveau der Liga angehoben. Das kann dem Fan doch nicht unrecht sein?

Wenn ich privat über meine Verhältnisse lebe, habe ich vermutlich auch lange gute Seiten genossen. Entsprechend muss ich auch dafür gradestehen, meinen Standard zurückzuschrauben. Aber das wird bei der Bundesliga nicht der Fall sein: Es gibt weiter Idioten, die da Geld reinbuttern. Und dann wird uns immer vorgeworfen: Ihr wollt doch Stars, Stars, Stars …

Wollt ihr das nicht?

Natürlich wollen wir guten Fußball sehen. Aber wer sagt denn, dass nur Stars guten Fußball bieten können? Zudem muss man sagen: Wer bekommt denn die wirklich teuren Stars in der Fußball-Bundesliga? Gerade mal sieben Vereine. Die anderen sind doch völlig egal, die sollen als Sparringspartner herhalten. Was hilft es uns weiter, wenn immer mehr Spieler verpflichtet werden, die nur über den Preis funktionieren, aber nichts mit ihrem jeweiligen Verein zu tun haben?

Aber komischerweise sind es die Stars, die zur Identifikationsfigur werden. Gehst du zu Hertha ins Stadion, siehst du die Fans mit Marcelinho-Trikots und nicht mit Neuendorf-Trikots.

Es gibt einen großen Unterschied zwischen den Medienlieblingen und den Lieblingen der Fankurve. Das entspricht dann oftmals nicht dem Bild, das durch „ran“ vermittelt wird. Die innere Version ist ganz anders als die Fernsehversion. Ein Spieler, der schon lange dabei ist, mit dem die Fans etwas zu tun haben, den sie kennen, der wird in der Fankurve anders aufgenommen, als ein Spieler, der für vier Millionen Euro verpflichtet wurde – und als Neuzugang immer ein Risiko darstellt. Und dann hat Neuendorf eben ein besseres Standing als der vermeintliche Star. Der Star wird groß angekündigt, der Verein verkauft massenhaft Trikots, und nach einem Jahr ist er dann wieder weg. Leverkusen zum Beispiel ist der optimale Kapital-Durchlauferhitzer. Die holen sich immer einen Brasilianer, den man so halb kennt, bezahlt anständig dafür – und nachdem sie ins internationale Geschäft eingezogen sind, wird er zum AS Rom transferiert. Ein gutes Geschäft.

Immerhin bringt jemand wie Lucio oder Ze Roberto die Mannschaft auch fußballerisch weiter. Und vielleicht sogar die Meisterschaft.

Fußball muss auch in einer Form existieren können – unabhängig von drei Punkten. Die Großen müssen auch gegen die Kleinen in einem ausgeglichenen Wettbewerb spielen können. Fußball braucht die Überraschung. Seit Jahren stehen die Bayern, Dortmund und Leverkusen da oben – das wird langweilig und die meisten Stadionfans betrifft das eh nicht.

Aber alle anderen Vereine mitsamt der Fans hätten doch auch gerne die Erfolge dieser drei Vereine?

Der Fan ist leidensfähig. Er versteht sein Team – auch wenn es nicht so stark ist. Die Fans behalten die Idee, dass ihr Verein trotz Niederlagen ein Stück von ihnen ist. Aber die Macher der Liga werden den Lernprozess nicht durchmachen, dass es nicht nur um drei Punkte gehen kann – und nicht nur um Geld.

Eigentlich war der Decoderboykott dann zu kurz gegriffen, eigentlich hättet ihr auch die Liga komplett boykottieren müssen.

Das Problem des Fußballfans ist es, dass er masochistisch veranlagt ist – und fast alles mitmacht, was sein Verein ihm diktiert. Im Grunde müssten sie längst selber Fußball spielen am Samstag oder mehr zu den Amateuren gehen als Antwort auf die Entmündigung der Fans.

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