: Keyboards Marke Sonnenaufgang
Feinsinniges Sounduniversum: Manual und Herrmann & Kleine ■ Von Julian Weber
Das dürfte bekannt vorkommen: Im Plattenladen des Vertrauens findet sich irgendwie nichts Passendes, nur die Verkäuferin lächelt geheimnisvoll und nötigt mit sanfter kapitalistischer Gewalt zu „Hör Dir lieber das an“: Es war die Kickboard Girl-EP des Berliner Duos Herrmann & Kleine, mit der gar nicht mal so majestätischen Bestellnummer 007 auf dem Label Morrmusic. Die Drehtür in ein neues Sounduniversum. Kickboard Girl funktioniert nach einem Rezept, das so einfach wie wirkungsvoll ist: Tief in sich versunkene Keyboardflächen der Marke Sonnenaufgang umspülen einen elegant beschleunigten Breakbeat. Das gelassen pluckernde Monsterbaby will sich nicht so recht zwischen Rheingold und Jungle Brothers entscheiden – und genau im Zwischenspiel von Melodie und Rhythmus, von kontemplativen und euphorischen Momenten, von pastoralen und urbanen Klangpartikeln liegt auch der Reiz der Musik. Digital Krautrock without Attitude oder so ähnlich.
Das Label Morrmusic, benannt nach seinem Gründer Thomas Morr, blickt inzwischen auf 27 Veröffentlichungen zurück. Die Idee zum Label kam Morr als Mitbewohner von Notwist-Gitarrist Markus Acher im bayerischen Landsberg. Demotapes laufen ständig im Hintergrund, die muss endlich jemand veröffentlichen. Im Hausmusik-Vertrieb eignet sich Morr die Grundzüge des Musikgeschäfts an. 1999 macht er seine eigene Firma auf, eine Platte der Band Hessen erscheint. Mit dem Umzug nach Berlin wird Morrmusic zur Anlaufstelle für Ambient-Rock, Plinkerpop und verwaschene Elektronikmassagen. Ein Labelsound, der in unterschiedliche Richtungen zeigt und Künstler von nah und fern berücksichtigt, darunter so bekannte Namen wie Lali Puna, Isan, Tied & Tickled Trio. Die Künstler bea-ckern unbefestigtes Gelände, tun das eher feinsinnig als grobklotzig. Das Rumpelfüßler-Etikett „Indie-tronic“ findet Morr für die Beschreibung des Label-Sounds störend. Er selbst sieht sich in der Tradition klassischer Independent-Labels. Es geht ihm um einen selbstbestimmten Produktionsethos. Seine Plattencover zeichnen sich durch besonders einprägsame Ästhetik aus, sie sind professionell fotografiert, klar und übersichtlich layoutet und haben einen hohen Wiedererkennungswert.
Kürzlich ist Our Noise erschienen, das Debutalbum von Herrmann & Kleine mit seltsam übernatürlich wirken Landschaftsfotos auf dem Cover. Thaddeus Herrmann und Christian Kleine haben ihr musikalisches Konzept verfeinert und verknüpfen lose Enden aus der jüngeren Vergangenheit von Pop, berauben sie vollkommen ihres Kontextes und schleusen sie weiter in ein sicheres klangliches Drittland.
Kleine kommt eigentlich vom Bodensee, wo es kein Widerspruch ist, tagsüber in Avant-Rockbands zu spielen und nachts HipHop-Platten aufzulegen. Herrmann wiederum ist in Berlin aufgewachsen und hat dort das Synthesizer-Wabern von frühen Depeche Mode-Platten aufgesogen. Anfang der Neunziger kommt er mit der Techno- und Breakbeatszene in Berührung, macht Remixe für den jungen Alec Empire und ist wenig später auch an der Gründung von De:Bug beteiligt, dem Fachblatt für „elektronische Lebensaspekte“. Dem Hörer begegnen auf Our Noise fast beiläufig Details von vergessenen und verdrängten Lieblingsplatten: ein knarzender funky Basslauf hier, eine Gitarrenwand da. Verdammt, woher stammt das nochmal? Bei aller erlaubter Dreistigkeit gehen Herrmann & Kleine trotzdem behutsam mit dem Fremdmaterial um und zitieren korrekt. Das Kickboard Girl wurde nach Hause geschickt, jetzt ist die Sängerin Ariane Hensel mit an Bord und gibt der Coverversion des Slap Happy-Songs „Blue Flower“ mit ausdruckslosem, aber doch markantem Gesang die entscheidend spröde Artschool-Wendung.
Dass sich die Requisiten aus der Vergangenheit in der Gegenwart als extrem nützlich und verwertbar entpuppen können, weiß auch der zwanzigjährige Jonas Munk Jensen. Unter dem Namen Manual macht der Däne für Morrmusic aus den schattigen Feedback-Tricks von Bands wie Slowdive oder My Bloody Valentine schwärmerische Ölfilm-Musik. Viele verwischte Gitarrenspuren und eine scheinbar in Watte gepackte Drum Machine helfen ihm bei der Nachbearbeitung dieser zähen Gitarrenakkorde und verwegenen Sirupmelodien. Wenn bei Herrmann & Kleine noch Beats einen Zug zum Rhythmus erkennen lassen, dann enthärtet Manual den Beat, lässt Echos und Rückkopplungen zu alles beherrschenden Elementen seines Patchworks werden. So verschwindet auch das Bleierne der Vergangenheit und weist jubilierend auf einen erweiterten Horizont.
Herrmann&Kleine: Sonnabend, 22 Uhr, Astra Stube (mit DJ Mulitpara/Lux Nigra); Manual: Sonntag, 22 Uhr, Golden Pudel Klub (mit DJ Morten Bagai)
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