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Immer auf die Kleinen

Der Senat bedauert zwar Kinderarmut. Über den Bundesrat aber will er auf Druck von Finanzsenator Sarrazin bei der Sozialhilfe knausern. Grünen-Fraktionschefin Klotz sieht einen Skandal erster Güte

von STEFAN ALBERTI

Der rot-rote Senat ist in Erklärungsnotstand geraten: Wie kann er in seinem ersten Familienbericht bedauernd feststellen, dass jedes siebte Berliner Kind in Armut lebt und zugleich bei ebendieser Gruppe die Sozialhilfe kürzen wollen? Das aber ist möglich, wenn der Senat am Freitag im Bundesrat tut, was er hinter verschlossenen Türen beschlossen hat: nicht dafür zu sorgen, dass Sozialhilfeempfänger weiterhin von der Kindergelderhöhung profitieren. Eine Hintertür hält sich der Senat mit einem Gespräch mit Kanzler Schröder auf. Fällt die bisherige Regelung im Bundesrat durch, fehlen vor allem den Alleinerziehenden der Stadt pro Monat 10 Euro.

Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz sieht in dem Senatsbeschluss einen Skandal erster sozialpolitischer Güte. „Bei allen Finanzschwierigkeiten Berlins – dafür muss einfach Geld da sein“, sagte sie der taz. Teilweise würden Kinder sogar hungern. Ihre Kritik richtete sich vor allem gegen die PDS. Klotz erinnerte daran, dass gerade die Postkommunisten sich in der Vergangenheit dafür einsetzten, das höhere Kindergeld nicht mit der Sozialhilfe zu verrechnen und auch die sozial Schwachen von einer Erhöhung profitieren zu lassen.

Dem Vernehmen nach hatte Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) Einstimmigkeit im Senat verhindert. Für diesen Fall sieht der Koalitionsvertrag zwischen SPD und PDS Enthaltung vor. Sarrazin soll als Einziger darauf gedrängt haben, die Kindergeldregelung nicht zu verlängern. Für ihn geben finanzpolitische Gründe den Ausschlag: Fällt die bisherige Regelung weg, kann er künftig im Sozialhilfeetat sparen – bei rund 90.000 Berliner Sozialhilfeempfängern unter 18 Jahren und 10 Euro pro Kopf fast 1 Million Euro monatlich.

Sarrazins Senatskollegen aus SPD und PDS ließen sich offenbar mit dem Vorbehalt beruhigen, dass sich heute Abend in einem Gespräch mit den anderen SPD-geführten Ländern und Bundeskanzler Gerhard Schröder noch eine andere Lösung findet. Klappt das, soll Berlin sich doch nicht enthalten, sondern der Kindergeldregelung zustimmen. Der stellvertretende Senatssprecher Günter Kolodziej wies deshalb den Vorwurf eines Skandals zurück: „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.“

Grünen-Fraktionschefin Klotz mochte das so nicht stehen lassen. „Schröder hat doch nicht die Verpflichtung, zu zahlen“, sagte sie. Der Senatsbeschluss habe angesichts der Armutsbilanz der Stadt eine fatale symbolische Bedeutung.

Der PDS war die Sache hörbar peinlich, als der Senatsbeschluss gestern durchsickerte. Zwar beteuerten sowohl die Parlamentsfraktion als auch eine Sprecherin von PDS-Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner, wie sehr die PDS sich für eine Verlängerung der jetzigen Kindergeldregelung einsetze. Da sie aber zuvor beim Kompromiss hinter verschlossenen Türen mit dem Bittgang zum Kanzler nicht aufmuckte, waren auch gestern nur leise Töne zu hören. Knake-Werner sei „nicht glücklich“ über die Entscheidung, sagt ihre Sprecherin Roswitha Steinbrenner.

Auch die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Ülker Radziwill, mochte sich nicht zu weit aus dem Fenster hängen und verwies auf das Gespräch mit dem Kanzler. „Ich würde es begrüßen, wenn sich unsere Senatoren für Zustimmung entscheiden könnten“, sagte sie. Bei allem sei jedoch die Haushaltslage des Landes zu berücksichtigen.

Ob die 4 Berliner Stimmen im Bundesrat den Ausschlag über die Kindergeldregelung geben werden, war gestern noch offen. In den vorbereitenden Sitzungen verliefen die Fronten nicht zwischen den SPD- und CDU-regierten Ländern, sondern zwischen Finanzpolitikern à la Sarrazin und Sozialpolitikern: Der Bundesratsausschuss für Sozialpolitik votierte einstimmig für die Regelung, der für Finanzen mehrheitlich dagegen.

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