: Ein lupenreiner Quatsch
Zum heutigen „Tag des Baumes“ eine längst überfällige Richtigstellung
Wir kennen das von zeitgenössischen Postkartenmotiven: Viele Städte schnallen sich neuerdings einen so genannten Grünen Gürtel um. Ausgehend von den Gewerbegebieten hat sich diese grüne Modeplage bis hinein in die Ortschaften gewagt. Auf den ersten Blick scheinen sie dem nachgebildet, was wir in Baumärkten oder Gartencentern für die Verschönerung unserer Vorgärten und Friedhöfe erwerben, was auf den Röhrenden-Hirsch-Bildern für den Hintergrund zuständig ist. Trotzdem ist die Verblüffung groß: Man spaziert fröhlich durch die Weltgeschichte, plötzlich stehen einem, willkürlich in die Scholle gerammte, unregelmäßig verästelte Stangen im Weg. Rätselhafte Schöpfung beziehungsweise die Eierlikörlaune eines verliebten Handwerksmeisters oder parlamentarischen Staatssekretärs, der die ganze Welt zu einem weihnachtlichen Wohnzimmer machen möchte? Wir reden hier von einem nicht mehr gänzlich unbekannten Phänomen: den Bäumen. Je nachdem, ob die bizarr geformten Astenden dünn und spitz oder flach und breit auslaufen, unterscheidet man zwischen Nadel- und Laubbäumen.
Und wir sind inzwischen der Auffassung: Bäume? Warum nicht? Wenn sie schön gemacht sind. Wo sie gehäuft auftreten, wird von einem „Wald“ gesprochen, da sind mit stehendem oder fließendem Wasser gelegentlich nicht unreizvolle Arrangements getroffen worden. Außerdem liefere der Baum eine Art nachwachsenden Werkstoff, so habe man herausgefunden, der nicht gleich Metall, auch nicht Glas oder Plastik sei. Folgerichtig wird diese Baumgeschichte auch von der Wirtschaft mit wachsendem Interesse verfolgt. Man wolle sich in der Testphase nicht näher äußern. Zugegeben: Die Bezeichnung „Holz“ gebe seine Eigenschaften nur unzureichend wieder, aber sie habe sich vorerst eingebürgert, und wir müssten uns damit abfinden.
Von verschiedenen Seiten wird nun allen Ernstes behauptet, Bäume seien Lebewesen. Das ist freilich schwer einzusehen, denn sie können sich weder fortbewegen, noch eignet ihnen Sprache, Mimik und Gestik. Von Stoffwechsel haben die doch gar keine Ahnung. Fernsehen und Auto fahren können sie auch nicht. Und ödes, wenngleich geselliges Herumstehen auf ein und demselben Fleck ist längst kein soziales Verhalten.
Wie für jeden anderen Firlefanz schießen bald „Experten“ wie Pilze aus dem Boden, die uns Steuerzahlern auf der Tasche liegen und sie uns ungeniert voll hauen. Man habe Bäume über Wochen hinweg mit der Kamera observiert und die Filme im Zeitraffer abgespielt. Mit erstaunlichen Ergebnissen. Ferner wird behauptet, Bäume vermehrten sich angeblich selbst. Dabei kursieren mumpitzige, teils groteske Theorien. So wird uns von „Fachleuten“ eingeredet, die Bäume streuten Samen aus, die in der so genannten Muttererde wurzelten und keimten und zu neuen Bäumen heranwüchsen. Ein lupenreiner Quatsch. Als wüssten wir nicht, dass diese Artikel irgendwo in der Dritten Welt in menschenunwürdiger Kinderarbeit modelliert werden.
Die Begeisterung in der Bevölkerung nimmt spürbar zu. Wie für jede neue Sau, die durchs Dorf getrieben wird, finden sich Menschen, die unvermerkt in Abhängigkeitsverhältnisse geraten. Meist hüpfen sie verträumt durch diese Areale und geben japsende Laute von sich. „Mein Freund, der Baum“ und „Bäumchen, wechsle dich“ gehören da noch zu den harmloseren Krankheitssymptomen, ihre devianten Ernährungsgewohnheiten und ihr offener Widerstreit mit dem mitteleuropäischen Kleidungsstil schon weniger.
Auch wenn an dieser Stelle das Problem nur angerissen werden kann, ist offenkundig, dasssich nicht alle Spielsachen aus dem Modelleisenbahnsatz in reale Verhältnisse übertragen lassen. Die Idiotie gipfelt dieser Tage in unzähligen ausgewilderten Spielzeuglebewesen, die zwischen und unter den Bäumen schwirren und krabbeln, von denen keiner ahnt, wer sie steuert, pflegt und hinterher auch wieder wegmacht, wenn die vernarrten Zuschauer einmal das Interesse verlässt. Wir mögen sie bis auf weiteres „Tiere“ nennen, heißt es. Na, gute Nacht – und kein Bett!
Es wird sich zeigen, wie lange die Menschheit gewillt ist, Gefallen an solchen Überzogenheiten zu finden, und wann sie wieder zur Vernunft findet. Bislang sieht es jedoch nicht so aus.
MICHAEL RUDOLF
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