Energie von den Alpen

Die Schweiz entdeckt die Windkraft: Bis 2010 wollen die Eidgenossen die Stromerzeugung durch Windturbinen mindestens verzehnfachen. Zurzeit gibt es nur sieben Anlagen mit 4,3 MW Leistung

„Die Windkraftist derPartner derWasserkraft“

Das schaffen Windkraftfreunde nur noch in wenigen Ländern: Wenn in der Schweiz der Windkraftverband Suisse Eole zur Tagung lädt, kommen zehnmal mehr Zuhörer, als es in der Schweiz überhaupt Windkraftanlagen gibt.

In dem Alpenstaat ist das allerdings keine Kunst. Denn gerade sieben Anlagen, die es zusammen auf bescheidene 4,3 Megawatt Windkraftleistung bringen, stehen derzeit im ganzen Land – weniger, als in Deutschland manche Bürgergemeinschaft besitzt. Aber nicht mehr lange: Bis 2010 will das Bundesamt für Energie (BFE) an zehn bis zwölf Standorten die Leistung auf bis zu 80 Megawatt ausbauen. Längst hat man die Defizite erkannt: „Die Entwicklung war bei uns sehr stockend“, so BFE-Direktor Walter Steinmann.

Die erste kommerzielle Windturbine der Schweiz wurde im Mai 1997 ans Netz gebracht – auf den Mont Crosin in 1.100 Meter Höhe im Berner Jura. Der Windpark umfasste anfangs drei Anlagen mit je 600 Kilowatt, erhielt im November 1998 eine vierte mit 660 Kilowatt und wurde im vergangenen September nochmals um zwei Anlagen mit je 850 Kilowatt aufgestockt. Aber das war’s dann auch schon fast im Land der Eidgenossen; eine kleine 150-Kilowatt-Anlage auf dem Grenchenberg im Kanton Solothurn vervollständigt die bescheidene Bilanz.

Doch erwacht nun auch auf den Schweizer Bergen die Lust am Ökostrom. Ein spektakuläres Kraftwerk geht in diesen Wochen ans Netz: Oberhalb von Andermatt im Kanton Uri, auf dem Gütsch in einer Höhe von 2.332 Metern über dem Meer, wird gerade die weltweit höchstgelegene Windkraftanlage der 800-Kilowatt-Klasse montiert.

Betreiber wird das regionale Elektrizitätswerk Ursern (EWU) sein. „Wir setzten damit ein Zeichen zum 100-jährigen Jubiläum unseres Elektrizitätswerkes“, sagt Markus Russi, Betriebsleiter des 1902 gegründeten EWU. Man werde durch die Windkraftanlage eine „Imageverbesserung des Kantons“ bewirken. Schließlich lasse man mit der Anlage den „ältesten Bewohner des Kantons“ zu Ehren kommen: den Föhn. Die Erträge sind in dieser Höhe durch die dünnere Luft zwar um 20 Prozent reduziert, man erwarte dennoch jährlich 1,5 Millionen Kilowattstunden.

So erreicht die Windkraft die Schweiz erst spät. Umso gebannter schaut die internationale Energiebranche auf die Entwicklungen in den Alpen, weil man sich davon wichtige Erfahrungen für die globale Windkraftnutzung in rauen Klimaten erhofft. „Die Erwartungen an unsere Projekte sind groß“, weiß Walter Schmied, Nationalrat und Präsident von Suisse Eole, der Vereinigung zur Förderung der Windenergie in der Schweiz.

Im Inland gilt es für die Schweiz nun erst einmal die Rahmenbedingungen für die Windkraft zu schaffen. Denn im Moment hängt einiges noch am Elektrizitätsmarktgesetz (EMG) und der darauf aufbauenden Elektrizitätsmarktverordnung (EMV). Das EMG muss im Sommer mit einer Volksabstimmung legitimiert werden, nachdem es im Dezember 2000 durch das Parlament abgesegnet wurde.

Im EMG, das die Liberalisierung des schweizerischen Strommarktes regelt, sind einige Punkte enthalten, die den erneuerbaren Energien Schub geben dürften. So werden die Netzbetreiber mit Inkrafttreten des EMG verpflichtet, Strom aus erneuerbaren Energien für die Dauer von zehn Jahren unentgeltlich durch ihre Netze an Abnehmer durchzuleiten. Die Erzeugung von Ökostrom wird damit erheblich forciert, weil jede Kilowattstunde von Kosten in Höhe von umgerechnet mindestens 6 Cent allein für die Durchleitung im Niederspannungsnetz entlastet wird. Die für die Netzbetreiber dadurch entstehenden Mindereinnahmen werden durch einen Zuschlag auf die Übertragungskosten des nicht regenerativen Strommixes im Hochspannungsnetz ausgeglichen.

Darüber hinaus dürfte das EMG die Kundennachfrage nach Ökostrom stärken, weil es eine Kennzeichnungspflicht für den Strommix vorsieht. In der zugehörigen Verordnung heißt es: „Elektrizitätserzeugerinnen, Elektrizitätsversorgungsunternehmen und Stromhandelsunternehmen sind verpflichtet, in ihren Angeboten bei der Rechnungsstellung die Art der Erzeugung und das Herkunftsland der angebotenen Energie anzugeben.“ Hierfür wird das Bundesamt für Energie sogar eine einheitliche Gestaltung vorgeben.

Und schließlich wird das EMG auch die bestehende Einspeisevergütung für Strom aus erneuerbaren Energien festigen. Schon heute erhalten Betreiber von Regenerativ-Kraftwerken 15 Rappen (etwa 10 Cent) je Kilowattstunde. Mit dem EMG werden die Mehrkosten jedoch vom örtlichen Elektrizitätswerk auf die noch zu gründende bundesweite Netzgesellschaft übertragen – womit der Ökostrom nicht mehr wettbewerbsverzerrend wirkt.

„So setzen wir mit dem EMG ein sichtbares Zeichen“, sagt BFE-Direktor Steinmann und ist überzeugt, dass sich die Windkraft „auch in der Schweiz zu einer ernst zu nehmenden Energie entwickeln wird“ – schließlich habe sie „Qualitäten, die sie für die Schweiz besonders interessant macht“. An erster Stelle sei das antizyklische Angebot im Vergleich zur weit verbreiteten Wasserkraft genannt: 60 Prozent des Windstroms werde im Winter erzeugt, während die Wasserturbinen im Sommer durch die Schmelzwässer aus den Bergen die höchsten Erträge liefern. Steinmanns Fazit: „Die Windkraft ist der Partner der Wasserkraft.“ BERNWARD JANZING