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„Keine Glasversicherung? Selbst schuld!“

Über das Jahr verteilt passiert ohnehin mehr als am Maifeiertag, sagen die Kreuzberger Wirte und Ladeninhaber. Sie sehen dem 1. Mai gelassen entgegen. Schweigen bei Banken und Supermärkten. Baustellen werden stark beschützt

Rolläden runter und hoffen, dass nichts passiert – das ist das einfache Rezept der Ladeninhaber zwischen dem Oranienplatz und dem Heinrichplatz in Kreuzberg. Viele Lokale wollen am Abend der 1. Mai sogar ganz normal öffnen.

„Die Fenster machen wir dicht, aber die Hintertür bleibt offen. Die Gäste wissen Bescheid“, erzählt die Wirtin in der „Eckkneipe“ am Mariannenplatz, wo sich Polizei und Demonstranten im vergangenen Jahr heftige Schlachten lieferten.

Auch bei den Gewerbetreibenden in der Oranienstraße herrscht Gelassenheit. „Uns gibt es seit zehn Jahren, und bisher ist nichts passiert“, sagt Wolfgang Lampe vom Comicladen Modern Graphics. „Ich komme aus dem Kiez und meine Kundschaft auch. Warum sollten die mir den Laden kaputtmachen?“ Den Herrenausstatter, der bis vor einem Jahr gegenüber an der Ecke Heinrichplatz war, habe es in den vorigen Jahren einige Male getroffen. „Dabei kam der auch aus dem Kiez“, wundert sich Lampe.

Da wo früher Anzüge feilgeboten wurden, ist heute das Sushi-Restaurant Mama Su, das dieses Jahr das erste Mal dem 1. Mai standhalten muss. Morgen wird nur bis 16 Uhr kalter Fisch serviert. Nicht so sehr aus Angst vor Randale, erklärt Inhaber Gerald Richter, sondern weil meistens die Laufkundschaft wegbleibe, wenn die Polizei abends die Straße abriegelt.

Diese Erfahrung habe er bisher zumindest ein paar Häuser weiter im Kafka gemacht, dem italienischen Restaurant, das Richter ebenfalls betreibt. Vor drei Jahren habe die Polizei die Gäste noch zum Restaurant eskortiert. Im nächsten Jahr kam niemand mehr durch. Deshalb bleibt das Kafka dieses Jahr ebenfalls zu. Besonders geschützt wird das Lokal nicht. „Über das Jahr verteilt passiert ohnehin mehr als am Maifeiertag.“ Und: „Wer in Kreuzberg keine gute Glasversicherung hat, ist selber schuld“, sagt der Gastwirt. „Außerdem sind wir doch alle echte Kreuzberger“, wirft der junge Kellner hinter der Theke ein. „Die gehen eher auf die Polizei los als auf die Läden hier.“

Darin sind sich in der Oranienstraße fast alle einig. „Die Leute machen die Läden nicht absichtlich kaputt“, meint Alessandria Marchisio, Inhaberin des Grünen Papierladens am Heinrichplatz. Das glaubt auch Frank vom Friseursalon Knipper. Vor sechs Jahren sei mal eine Scheibe zu Bruch gegangen. „Aber da hat wohl jemand auf eine Wanne gezielt und danebengeworfen.“

Gefährdet sind erfahrungsgemäß eher die Banken und der Kaiser’s-Supermarkt am Kottbusser Tor. Dort aber schweigt man sich über etwaige Schutzmaßnahmen aus.

Sorge machen der Polizei außerdem die Baustellen im Kiez. Man stehe in Verbindung mit den Bauherren, so Thomas Giese von der zuständigen Polizeidirektion 5. Die große Haussanierungsbaustelle am Oranienplatz 4 wurde schon vor Tagen mit Stacheldraht gesichert. „Falls jemand hinüberklettern und was zum Werfen suchen will“, weiß Marco, ein Putzer. Fünf Bauwagen stehen noch vor dem Haus, sie sollen heute zurück auf das Firmengelände gefahren werden. BENJAMIN DIERKS

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