„Immer noch anormal“

Die Profi-Schachspielerin Judit Polgar (25) ödet es an, gegen Frauen zu spielen. Deshalb tritt sie ausschließlich gegen Männer an. Heute in Prag gegen den Weltranglistenersten Garri Kasparow

„Mir ins Gesicht sagen sie es nicht: Dass Frauen kein Schach spielen können“

Interview HARTMUT METZ

taz: Langweilen Sie Frauen-Wettbewerbe, Frau Polgar?

Judit Polgar: Ich habe kein Problem mit Frauen, sondern nur mit dem Niveau ihres Schachspiels.

Wodurch erklären Sie die unterschiedliche Leistungsstärke? Liegt es an einer weniger egoistisch ausgeprägten Psyche des weiblichen Geschlechts?

Es ist ein gesellschaftliches Problem. Bei den Anfängern liegt der Frauenanteil bei 50 Prozent, später verschiebt sich dies aber zusehends. Es gilt noch immer als anormal, dass Frauen Schach-Profis werden. Ich glaube, dass sich das in Zukunft ändern wird.

Den einst von Ihrem Vater und Trainer Laszlo angekündigten WM-Titel bei den Männern haben Sie noch nicht erreicht.

Ich trainiere und arbeite für mein Schach, würde aber nie sagen: Ich gebe mein Leben für diesen Titel. Ich traf die Entscheidung, dass Schach für mich wichtig ist, aber auch andere Dinge Bedeutung besitzen. Frauen können genauso fanatisch in ihrer Arbeit aufgehen.

Männer machen aber weniger Abstriche…

Offensichtlich kennt Kasparow nichts anderes als Schach – und ich könnte 500 weitere Spieler dieser Sorte benennen.

Zahlreiche Großmeister lästern über Frauenschach. Existiert im Schach zu viel Chauvinismus?

Nicht nur im Schach! Das ist generell so.

Werden Sie am Brett damit konfrontiert?

Mir ins Gesicht sagen sie es nicht: Dass Frauen kein Schach spielen können. Vielleicht machen sie es hinter meinem Rücken. Insgesamt habe ich jedoch das Gefühl, dass sie mich mehr oder minder akzeptieren – vor allem wenn ich ihnen persönlich am Brett einbläue, dass ich zur „Firma“ gehöre.

Ihr jetziger Gegner in Prag, Exweltmeister Kasparow, hat sich bis zum Turnier im spanischen Linares, als er mit zwei Remis zufrieden sein musste, nur abfällig über Sie geäußert.

Die Jahre über hat er viel erzählt. Es ist klar, dass Kasparow bezweifelte, dass Frauen hervorragende Ergebnisse im Schach erzielen können. Solche Leute kann man nur durch gute Resultate eines Besseren belehren. Manchmal ist es für die eigene Gesundheit von Vorteil, nicht alle Interviews von ihm zu lesen.

Der deutsche Großmeister Alexander Graf, der als 63. in der Weltrangliste 43 Plätze hinter Ihnen liegt, verkündete lauthals in einem Interview, Sie verstünden nichts von Schach.

Was soll ich über solche Leute sagen? Bei der Europameisterschaft belegte ich Platz vier und er lag hinter mir. In der direkten Partie konnte er mich auch nicht schlagen. Offenbar hat er keinerlei Probleme mit dem eigenen Selbstvertrauen.

Dann ist es wohl der Neid, der aus seinen Worten trieft.

Ich bin sicher, dass es viele neidische Schachspieler gibt. Sie denken nicht nach, bevor sie solches Zeug reden. Offensichtlich finden Organisatoren die Teilnahme einer einzigen Frau in einer ansonsten geschlossenen Männergesellschaft als äußerst reizvoll. Vor allem steigt dadurch auch die Publicity für das Turnier.

Was auch Ihrem Gelddbeutel nicht abträglich ist.

Natürlich ziehe ich daraus finanziellen Nutzen. Der Lohn fiel mir allerdings nicht in den Schoß. Ich musste vieles unter schwierigen Umständen hart erarbeiten und wurde nur so gut, wie ich jetzt bin, weil ich besondere Willenskraft besitze – und vor allem die Stärke habe, all diese unmöglichen Spitzen zu ignorieren!

Die da wären?

Besser, man macht sich keine Gedanken darüber und vermeidet graue Haare.

Mancher Mann jammert gar, er könne bei den seltenen Duellen mit Frauen nicht seine volle Leistungsstärke entfalten.

Ich bin mir sicher, dass die Männer damit Probleme haben. Erstens fehlt ihnen in der Tat regelmäßiges Spiel mit Frauen. Zweitens entsteht für manche psychischer Druck, weil sie fürchten zu verlieren und dann von ihren Mannschaftskameraden gehänselt würden. So machen sie lieber ein Remis, um bloß keine Niederlage zu kassieren.

Ihr Ehemann Gusztav Font ist Tierarzt und hat mit Schach nichts am Hut.

Ich bin wirklich sehr glücklich darüber, einen Nicht-Schachspieler geheiratet zu haben. Nicht weil es im Schach keine netten Spieler gibt. Ich wollte aber nicht unbedingt denselben Beruf wie mein Ehemann ausüben.

Sie spielen für den deutschen Damen-Vizemeister Turm Emsdetten – aber im Herrenteam, das jetzt auch ins Oberhaus aufstieg. Können Sie sich vorstellen, dort irgendwann bei den Frauen anzutreten?

Erst wenn es eine sportliche Herausforderung darstellt. Generell verstehe ich aber den Grund nicht, warum die Aufteilung in Frauen und Männer im Schach überhaupt besteht.