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Du darfst Gerd zu mir sagen

Medien und Politik brauchen einander und müssen doch Distanz wahren. Beim Jahrestreffen des „Netzwerks Recherche“ demonstrierte Kanzlerberater Matthias Machnig eindrucksvoll, wie man diese schwierige Beziehung nachhaltig strapaziert

aus Hamburg ALEXANDER KÜHN

Wenn man Gerd sagen darf zum Bundeskanzler, muss man sich als Journalist die Frage gefallen lassen, ob diese Distanzlosigkeit sich auch in der Berichterstattung widerspiegelt. Natürlich duze er den Kanzler, erklärte Spiegel-Chef Stefan Aust. Das sei doch ganz normal, wenn man „aus demselben politischen Kindergarten stammt“. Es bedeute aber längst nicht, dass man besonders nett zueinander sei.

Ob Aust und Schröder sich duzen oder siezen, zählte zu den kleineren Problemen, die beim Jahrestreffen des „Netzwerks Recherche“ in den Hamburger Räumen des NDR diskutiert wurden. Diese seltsame Beziehung, die Politik und Medien irgendwann einmal miteinander eingingen, ist ein Problem an sich. Denn dummerweise ist man zu oft aufeinander angewiesen. Wenn Joschka Fischer ausgewählte Journalisten einlädt, ihn in seinem Flieger auf Auslandsreise zu begleiten, fühlen diese sich natürlich gebauchpinselt. Und wollen auch beim nächsten Mal wieder dabei sein.

Die großen Fernsehsender haben es nicht einfacher. Wie weit dürfen sie den Kandidaten Schröder und Stoiber die Bedingungen für ein TV-Duell diktieren – ohne Gefahr zu laufen, dass die sich für einen anderen Sender entscheiden? Es ist schon was dran an der These, die der neue stellvertretende Stern-Chefredakteur Hans-Ulrich Jörges in die Runde warf: „Das eigentliche Thema dieses Wahlkampfs ist, wie die Politiker die Medien in den Griff kriegen.“

Am leichtesten haben es die Journalisten, wenn Politiker sich selbst öffentlich demontieren. SPD-Bundesgeschäftsführer Matthias Machnig brauchte nur wenige Minuten, um die gut 300 in Hamburg versammelten Medienleute gegen sich aufzubringen. Eigentlich sollte er auf dem Netzwerk-Podium mit dem Stoiber-Berater Michael Spreng über Wahlkampf diskutieren. Doch Machnig erklärte zu Beginn, zuerst solle Spreng Stellung nehmen zu einem Stoiber-Interview in der aktuellen Bild. Titel: „Nur wenn Schröder geht, kommen Arbeitsplätze“. Kamerawirksam empörte sich Machnig: „Kein Satz zu dem, was in Erfurt passiert ist! Kein Satz zu den Opfern!“ Der Kanzlermacher schimpfte, sprach von „Charakterlosigkeit“ und „billigster Wahlkampfpolemik“. Spreng solle erklären, warum das Interview nicht abgeändert oder ganz zurückgezogen wurde.

Moderator Thomas Roth, neuer Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, wollte lieber zum ursprünglichen Plan zurückkehren: nicht Wahlkampf machen, sondern darüber reden. Daraufhin verließ Machnig den Saal. „Der Schröder muss doch jetzt total abkotzen“, raunte ein SFB-Reporter. Ein hoher ARD-Mann fragte einen ebenso hohen Kollegen: „Kann man denn wirklich so blöd sein?“, worauf der antwortete: „Der Machnig schon.“ Und so mancher zerbrach sich den Kopf darüber, ob Machnig ernsthaft damit gerechnet hatte, er könnte bei einer Versammlung gestandener Journalisten mit einer so offensichtlichen Instrumentalisierung des Amoklaufs punkten. Darauf komme es gar nicht an, erklärte Autor Marcus Althaus, der kurz darauf auf dem Podium zehn Thesen zur Kampagnenpolitik der Parteien vorstellte. Eine davon: Der Agressor gewinnt immer – denn er erfährt in den Medien die größte Beachtung.

Kurz nach dem Vorfall kam Ulrich Wickert vom Tagesthemen-Haus über den Hof herüber ins Konferenzzentrum. ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann klärte ihn über den Machnig-Eklat auf und gab ihm mit auf den Weg: „Wenn ihr irgendwie Platz habt, solltet ihr heute was dazu machen.“ Wickert murmelte etwas von „da bräuchte man Bilder dazu“, und von der Tann entgegnete: „Die haben wir.“ Doch sowohl Tagesthemen als auch Tagesschau ignorierten den Eklat. Ob Machnig daraufhin abgekotzt hat, ist nicht bekannt.

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