: „Ich mag die Frauenszene“
Zurück zu den Wurzeln des Folk: Ein Gespräch mit Amy Ray über das neue Album der Indigo Girls, über den Sexismus in der Musikbranche und die Notwendigkeit von Koalitionen über die Kulturen hinweg
Interview IRENE HUMMEL
taz: Frau Ray, auf Ihrer Homepage stößt man auf eine lange „Activism“-Liste. Welches politische Anliegen ist für Sie das wichtigste?
Amy Ray: Man kann all die Politikfelder nicht getrennt voneinander betrachten. Wenn man über Umweltschutz redet, fängt man automatisch an, über die Struktur der Unternehmen und die der Regierung zu reden. Dann geht es weiter mit dem Patriarchat und mit Homophobie und Sexismus, und das führt zu Macht und zur Religion. Wenn wir an einem Thema arbeiten, arbeiten wir gleichzeitig auch an dem – vor allem in den USA – längst überfälligen Paradigmenwechsel, hin zu einer Welt, die die Menschen im Mittelpunkt sieht und nicht den Profit.
Zusammen mit Native-American-Aktivisten haben Sie die Honor the Earth-Foundation, eine Umwelt-Stiftung, gegründet.
Ich glaube daran, dass es wichtig ist, Koalitionen über die Kulturen hinweg zu bilden. Jede Bewegung sollte vielfältig sein, so erreicht man auch mehr. Wir versuchen, Teil von solchen interkulturellen Bewegungen zu sein.
Hat sich Ihre politische Position nach dem 11. September verändert?
Nicht wirklich. Es war natürlich hart, das zu erleben, und sehr beängstigend – die ganz normale menschliche Reaktion eben. Es ist klar geworden, dass die USA aufmerksamer vorgehen müssen – besonders im Nahen Osten. Aber mein Politikverständnis hat sich nicht verändert. Zu der aktuellen Situation in Israel und Palästina kann man nur sagen, dass es hier kein Gut und Böse gibt. Beide Seiten machen große Fehler, und ich habe langsam die Nase voll von beiden.
Was denken Sie über „America’s New War“, den Angriff auf Afghanistan?
Jedes Land verteidigt sich – politisch – und stellt sicher, dass es überlebt, das ist wohl eine Art natürliche Reaktion. Aber wir, die USA, sind schon so oft politisch fatal vorgegangen, und dann passiert plötzlich so etwas – und was machen wir? Wir bombardieren ein ganzes Land! Ich halte George Bush für einen entsetzlichen Präsidenten.
Das neue Indigo-Girls-Album „Become You“ klingt sehr ausgereift und besticht vor allem mit ruhigen Melodien, schönen Akustikgitarren und viel Sanftheit. Ein Zurück zu Ihren Folkwurzeln?
Wir hatten Lust, ein akustisches und sehr organisches Album zu machen, und gleichzeitig ist unser Songwriting besser und reifer geworden – hoffentlich.
Der Titelsong „Become You“, den Sie geschrieben haben, beschäftigt sich mit dem Sezessionskrieg und der Sklaverei.
Die Staatsfahne von Georgia enthielt noch lange die Konföderiertenflagge, ein sehr rassistisches Symbol. In den letzten Jahren änderten immer mehr der Südstaaten ihre Fahne – und viele Leute protestierten und wollten die alte behalten, weil sie immer noch der Konföderation anhängen. Diese Identität stelle ich in dem Song in Frage. Gleichzeitig frage ich nach den Ursachen für Kriege überhaupt.
Welche musikalischen Kooperationen können Sie sich vorstellen?
Gerade versuchen wir, etwas mit Fugazi zusammenzumachen. Ich finde sie musikalisch sehr intensiv. Emily steht mehr auf HipHop-MusikerInnen wie Queen Latifah; ich bin ein großer Chuck-D- / Public-Enemy-Fan. Es wäre richtig cool, mal zusammen in einer Show zu sein. So ganz verschiedene Musikstile – man muss ja nicht zusammen singen.
Sie sind offensichtlich nicht auf die Frauenmusikszene beschränkt?
Ich mag die Frauenszene, mit einigen haben wir sehr viel zu tun. Mein Soloalbum habe ich zusammen mit den Butchies gemacht, aus der Frauenpunkszene. Auf Le Tigre stehe ich auch. Mit der Punkszene fühle ich mich besonders verbunden.
So klingt auch Ihr Soloalbum. Eine Rebellion gegen die Indigo Girls?
Nicht gegen die Indigo Girls. Aber „Stag“ ist eine Seite von mir, die ich mit Emily nicht verwirklichen könnte und die ich alleine ausleben wollte. Es geht um Geschlecht, Geschlechterkonstruktion und Identität, und das in sehr weitem Sinne, in einer lyrischen Form. Musikalisch ist es einfach ein Ausdruck von mir. Ich wollte die Platte nicht auf einem Majorlabel veröffentlichen, sondern bei meinem eigenen Label. Hier, bei Daemon Records, fühle ich mich zu Hause.
Warum haben Sie sich in dem Song „Lucystoners“ auf den Herausgeber des Rolling Stone konzentriert?
In den USA ist der Rolling Stone die Verkörperung der Rockindustrie, ihrer guten und schlechten Seiten. Das Magazin ist Teil davon, und es hat, genau wie das ganze Business, den Ruf, sexistisch zu sein. Janny Wenner gibt ein gutes Beispiel ab. Ich habe seinen Namen geändert, um klar zu machen, dass er als Symbol für das Ganze steht.
Heute Abend, 21 Uhr, spielen die Indigo Girls im ColumbiaFritz, Columbiadamm 9–11, Tempelhof
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