Weg mit Krieg und Korruption

Ungewohnte Szenen in Sierra Leone: Statt Bürgerkrieg tobt in der Hauptstadt Wahlkampf für die Wahlen am 14. Mai. „Die Vergangenheit hat uns reif gemacht“, sagen Intellektuelle und gehen mit der Regierung schonungslos ins Gericht

FREETOWN taz ■ Sierra Leone fängt mit dem Wiederaufbau an. Nach zehn Jahren Bürgerkrieg schweigen in dem westafrikanischen Land die Waffen, britische Soldaten und dazu die größte UN-Blauhelmtruppe der Welt sorgen für Sicherheit, und am 14. Mai sollen Wahlen stattfinden.

Aber nach einem der brutalsten Bürgerkriege der Welt geht das einigen zu schnell. „Die Wahlen kommen zu früh“, meint Paul Kamara, Chefredakteur des unabhängigen Tagesblattes For di People. „Wir fangen erst jetzt an, unser Leben wieder aufzubauen. Noch lange nicht alle Vertriebenen sind heimgekehrt.“

In zehn Jahren Bürgerkrieg hat der 45-jährige Kamara diverse Regierungen, Militärjuntas und Rebellenorganisationen in seiner Zeitung erlebt. Er wurde beschossen, zum Fenster hinausgeworfen, ins Gefängnis gesperrt und mit internationalen Preisen ausgezeichnet. Nun zieht er Bilanz: „Der Frieden hält nicht, solange Korruption, Machtmissbrauch und Armut existieren“, findet er. „Das waren die Ursachen, weshalb junge, unzufriedene Leute zu den Waffen griffen. Ein Teil der hiesigen Politiker ist mitverantwortlich für die sozialen Missstände. Wir brauchen frisches Blut in der Politik.“

„Wenn Jesus jetzt lebte, wäre er Journalist“

For di People ist die größte Zeitung in Sierra Leone. Aber nur 2.000 Exemplare werden täglich verkauft, und dann bloß innerhalb der Haupstadt Freetown. Der Transport ins Innere des Landes funktioniert noch nicht. Die übervolle Redaktion befindet sich im zweiten Stock eines Gebäudes an einer engen Straße, deren Lärm das andauernde Klingeln des Telefons übertönt. Am Apparat sind Leser, die ihre Meinung sagen wollen. „Es ist Sozialarbeit“, beschreibt Paul Kamara seinen Job. „Wir können Änderungen in Gang setzen, und die sind äußerst wichtig. Wenn Jesus jetzt lebte, wäre er bestimmt ein Journalist.“

Zainab Bangura ist ebenfalls 45 Jahre alt. Jahrelang stand die kleine Frau auf den Barrikaden in Freetown und forderte eine bessere Regierung. Aber die Bevölkerung auf dem Lande hat kaum von ihr und ihrer Partei „Bewegung für Fortschritt“ gehört. Das entmutigt sie jetzt nicht: „Ich will die Politik in Sierra Leone ändern“, meint sie. „Für mich ist die Zeit gekommen, um nicht nur Missstände aufzuzeigen, sondern zu helfen, eine Lösung zu finden. Viel muss geändert werden. Mehr Frauen und junge Menschen müssen an der Führung des Landes beteiligt werden. Die Korruption muss bekämpft werden. Die Bevölkerung müsste nicht arm sein, wenn die Gewinne aus den Diamanten ehrlich verteilt würden.“

Zainab Banguras Haus, das zugleich als Parteibüro dient, steht in einem wohlhabenden Stadtteil von Freetown. Zainab Bangura ist eine der wenigen, die im Wahlkampf Themen laut anspricht. Im konservativen Sierra Leone ist ihr Geschlecht ein Nachteil. „Das ändert sich aber schnell“, meint sie. „Während des Krieges haben Menschen gesehen, wie Männer sich gegenseitig töteten. Die Einzigen, die dafür sorgten, dass das Leben weiterging, waren Frauen.“

Umfragen versprechen Präsident Ahmed Tejan Kabbah bei den Wahlen 80 Prozent der Stimmen, aber mehr als 60 Prozent der Befragten sagen, keine Präferenz für eine Partei zu haben. Im Victoriapark in der Mitte der Hauptstadt trinken zwei Studenten bei einer Getränkebude ein Bier. Schweiß glitzert auf ihren Stirnen. Mittags ist die feuchte Hitze atemberaubend. „Die Wahlen sind wahnsinnig wichtig“, meint Sama Banya, ein Jurastudent. „Wir werden beschließen, wer uns durch die kommenden schweren Jahre führen wird. Die Vergangenheit hat uns reif gemacht.“ Theologiestudent Bernard Kamara nickt und sagt: „Ich wähle das britische Militär. Sie brachten uns Frieden. Leider sind sie nicht als Partei registriert.“ ILONA EVELEENS