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Deutsche Stiftungen in Ankara im Visier

In der Türkei läuft eine Kampagne gegen deutsche Stiftungen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Dahinter verbirgt sich ein Kampf im türkischen Establishment zwischen Gegnern und Befürwortern einer Annäherung an die EU

ISTANBUL taz ■ „Es ist immer dasselbe Szenario“, beschreibt der Anchorman des Nachrichtensenders CNN-Türk, Mehmet Ali Birand, die Situation der Türkei bei ihren Versuchen einer Annäherung an die EU. „Immer wenn wir kurz vor dem Erfolg stehen, gibt es einen Vorfall, der die Bemühungen zunichte macht. Man kann da nicht mehr von Zufall sprechen.“

Anlass für die jüngste Klage Birands war die Sitzung des Türkei-EU-Assoziierungsrates in Luxemburg, eine wichtige Konferenz für die Türkei auf ihrem Weg zur Aufnahme regulärer Beitrittsgespräche. „Alles lief prächtig“, so Birand, „bis uns die Nachricht schockte, dass die Radio-und TV-Aufsichtsbehörde an diesem Tag ein 24-stündiges Sendeverbot für CNN-Türk, NTV und TV 8 verhängt hatte.“

Ein Rückschlag für Außenminister Ismael Cem, der wenige Minuten zuvor die Vertreter der EU davon zu überzeugen versucht hatte, dass die in den letzten Monaten verabschiedeten Reformen des Straf- und Presserechts die Meinungsfreiheit in der Türkei besser schützen würden. „Als ich dann sah“, so berichtet Birand weiter, wie ein Journalist einer großen Nachrichtenagentur zu Verheugen sagte, gerade sei ein Lastwagenfahrer zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, weil er in seinem Lkw kurdische Kassetten gehört hatte, „wusste ich, dass die Sache mal wieder gelaufen war“.

Was Birand von der Sitzung in Luxemburg beschreibt, vermittelt einen Eindruck von dem Kampf, der im türkischen Establishment derzeit geführt wird. Die Gegner einer Annäherung an Europa machen mit allen Mitteln mobil, weil sie fürchten, dass in diesem Jahr tatsächlich eine Entscheidung über die Aufnahme förmlicher Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der EU fallen könnte. Dabei wird die Auseinandersetzung zunehmend zu einen offenen Kampagne gegen die Befürworter eines EU-Beitritts.

Das erste spektakuläre Beispiel war die illegale Veröffentlichung privater, vertraulicher E-Mails der EU-Botschafterin in Ankara, Karen Fogg, im Februar. Trotz einer Unterlassungsklage von Fogg konnte das ehemals maoistische und heute nationalistische Wochenblatt Aydinlik in mehreren Ausgaben E-Mails von ihr veröffentlichen, bis gegen den Herausgeber Dogu Perincek ein Verfahren eröffnet wurde.

Aus derselben Ecke wie gegen Fogg wird nun eine Kampagne gegen die deutschen Stiftungen in der Türkei inszeniert. Am Bosporus und in Ankara sind außer der PDS-Luxemburg-Stiftung alle anderen vier Parteistiftungen vertreten. Die Attacke richtet sich aber nicht nur gegen die Parteistiftungen, sondern auch gegen das Goethe- und das Orient-Institut. In einem Buch „Deutsche Stiftungen und die Akte Bergama“ wirft ein Professor der Universität Ankara, Dr. Necip Hablemitoglu, den Stiftungen und Kulturinstituten vor, sie seien nichts anderes als Tarnorganisationen des deutschen Geheimdienstes und ihr Ziel sei es, die Türkei zu destabilisieren und den türkischen Staat zu zerstören. Zu diesem Zwecke unterstützten die deutschen Organisationen alle staatsfeindlichen Bestrebungen in der Türkei, hauptsächlich aber die Islamisten und die kurdischen Separatisten.

Das Buch steht in bester Tradition nahöstlicher Verschwörungstheorien und wäre nicht weiter bemerkenswert, könnte es nicht eine erstaunliche Rezeptionsgeschichte aufweisen.

Zunächst musste Wulf Schönbohm, Leiter der Adenauer-Stiftung in Ankara, feststellen, dass Hablemitoglus Werk in für türkische Verhältnisse erstaunlich hoher Auflage unter die Leute gebracht wurde. Dann registrierte er ein ungewöhnlich großes Medieninteresse. Zu guter Letzt erschien die Polizei, um im Auftrag eines Staatsanwalts des Staatssicherheitsgerichts in Ankara Beweismaterial sicherzustellen. Wofür? Es gebe eine Vorermittlung wegen Spionagetätigkeit. Die Polizei erschien nicht nur bei der Adenauer-Stiftung, sondern auch bei der Böll-Stiftung und im Orient-Institut.

Noch ist nicht entschieden, ob die Staatsanwaltschaft ein förmliches Ermittlungsverfahren einleitet. Doch es reicht, die Angegriffenen zu verunsichern und ihre Energie mit dem Verfassen von Beschwerden und Anzeigen wegen Verleumdung zu absorbieren. Und es führt immer wieder zu der Frage, ob ein Land, in dem zumindest ein relevanter Teil der herrschenden Klasse in der EU das Böse sieht, wirklich Mitglied der Gemeinschaft werden will. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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