: Leise säuselt die Subversion
■ Kunst ohne Gebrauchsanweisung: Die Ausstellung „games.fights.videos“ im Künstlerhaus am Deich lotet den Grenzbereich von Kunst und Politik aus und kümmert sich dabei um die Konstruktion des Normalen
Wir betreten einen fast spröden Raum, kaum etwas steht herum. Und schon gar nichts, was man auf den ersten Blick als Kunst respektive Politik identifiziert. Mit vergleichsweise bescheidenem Etat leistet „games.fights.videos“ einen kleinen aber feinen Beitrag zur vielerorts versuchten „Bestandsaufnahme zu politischen Ansätzen in der Bildenden Kunst“. Um es gleich zu verraten: Weder „Erfurt“ noch „der elfte September“ spielen hier eine Rolle. Das ist gut und richtig. Denn die Beiträge aus den Bereichen Dokumentarfilm/Videokunst einerseits und politischem Aktivismus andererseits rühren an Grundlegendes, an Probleme, die jenseits aktueller Ereignisse bestehen.
„games.fights.videos“ trennt die politische von der ästhetischen Sphäre. Was zunächst verwundert. Wenn nämlich ein Ausstellungskonzept davon ausgeht, dass „eine neue Generation politischer AktivistInnen nach für sie geeigneten Praxisformen (sucht), bei denen Formen medialer Inszenierung eine gewichtige Rolle spielen“, hätte es nicht näher gelegen, beide Sphären zu vermengen? Mitnichten. Denn gerade weil Kuratorin Dorothee Richter hier Trennstriche einführt, werden die Übergänge umso prägnanter markiert.
Als kleine, unscheinbare Vermittlungsinstanz fungiert – ausgerechnet! – das Museum. Besser gesagt: das museale Prinzip. Es wird in die Ausstellung hineinzitiert. Und zwar mittels eines weißen Plastikständers, wie man ihn sonst in Museumsshops findet. Nur werden hier keine Kunst-Repros feilgeboten, sondern Plakate zu politischen Aktionen und Veranstaltungen gezeigt. Diese schlaue ironische Brechung bewahrt den hier überall gewollten politischen Bezug vorm Abstellen im angenehmen Refugium des Kunst-Seins.
Außerdem ist hier der Schlüssel zu „games.fights.videos“ zu finden. Denn wer sich die Präsentation der Arbeit von Bremer Gruppen wie „alaska“, dem „Anti-Rassismus-Büro“ oder dem „Crossover Summer Camp Project“ zu Gemüte führt, oder die Arbeiten von Ressler, Hito Steyerl oder der New Yorkerin Diane Nerwen betrachtet, braucht Zeit. Es gibt (zum Glück) keine Bedienungsanleitungen. Darauf, wie sich die Beiträge aus dem Grenzbereich von Videokunst, Dokumentation und Installation von der normalen Darreichungsform unterscheiden, mit der die Kamera „die Chaoten“ der Antiglobalisierung an den Pranger stellt oder im Fernsehen die relativistische Sicht des NS und seiner Nachwirkungen zu implementieren versucht wird, darauf muss man selbst kommen.
Schauen, lesen, nachdenken ist hier gefordert. Nett, dass eine Ausstellung einem solches abverlangt, ohne den sicheren Weg der Materialfülle zu gehen. Formal und strukturell unterschiedlich arbeiten alle am Themenkomplex „gesellschaftliche Normalität“. Ob's um die kunstvolle Dechiffrierung der Konstruktion des Normalen geht oder um die ganz konkrete Verhinderung von Abschiebung, hier liegt der rote Faden. Manchmal säuselt sogar das alte Lied der Subversion leise durch den kargen Raum. Dass die anderen – etwa mit der großen Scharping Retrospektive „Unser Heer“ – mehr Publikum ziehen, daran hat man sich im Feld des politisch-ästhetischen Aktivismus gewöhnt. Wie variantenreich sich hier niemand in Richtung bequemer Selbstgenügsamkeit zurückzieht, beeindruckt. Die Karawane zieht weiter...
Tim Schomacker
„games.fights.videos“ ist bis zum 2. Juni in der Galerie im Künstlerhaus, Am Deich 68/69, zu sehen. Öffnungszeiten: mittwochs bis freitags zwischen 15 und 18 Uhr und sonntags von 12 bis 15 Uhr. Parallel zur Ausstellung erschien mit „Programming“ ein Katalog, der die Arbeit des Künstlerhauses von 1999 bis 2001 dokumentiert. Er kostet 18 Euro.
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