: Drachentöter auf Rädern
Grillen, Chillen, Partywillen: Mit dem BMX-Contest „Highway to Hill“ startete der Köpenicker Mellowpark in die Sommersaison. Eine Reihe wohl gesetzter HipHop-Events soll den Ort in Zukunft zu mehr als nur einem weiteren Funsport-Hang-out machen
von AXEL WERNER
Die wichtigste – und alle weiteren Worte im Grunde überflüssig machende – Vokabel für die Kommentierung eines BMX-Contests ist, alter Klassiker, das schön lang gezogene „Ouuuuuuuu“. Passt immer, ist universal einsetzbar, und durch nur leichte artikulatorische Modifizierung erschließt sich ein Meer von Bedeutungen. So wird, aufsteigend intoniert, fachmännische Anerkennung herausragender Leistungen der Fahrer ausgedrückt, eine absteigende Intonation dagegen indiziert Bedauern über verkackte Tricks oder Mitgefühl angesichts fieser Stürze. Und da diese drei möglichen Fälle ungefähr in Sekundenfrequenzen auftreten, gibt es eben nur einen vernünftigen Kommentar, der auch nach tausendmaliger Wiederholung nicht an Glanz und Trefflichkeit verliert: Ouuuuuuu.
So also auch letzten Samstag beim „Highway to Hill“-BMX-Contest im Köpenicker Mellowpark, der einerseits die Sommersaison einläutete und andererseits nach den Testläufen des letzten Jahres seine reguläre Eröffnung feierte. Mit diesem Startschuss hat der Mellowpark nun den ganzen Sommer über sieben Stunden am Tag und sieben Tage die Woche geöffnet und sich vorgenommen, in der angenehmeren Jahreszeit einer der Lieblings-Hang-outs der Stadt zu werden. Schön, mögen jetzt einige nicht unmittelbar dort Ansässige einwenden, Skateparks und so Zeugs gibt es doch mittlerweile in Berlin nicht eben wenige – weshalb also den langen Weg nach Köpenick auf sich nehmen, wenn andere Spots auch schöne Möglichkeiten zum gepflegten Trendsport bieten? Aber das ist leicht zu beantworten. Zunächst mal strahlt das schlappe 9.000 Quadratmeter große Gelände des Mellowparks, direkt an der Spree auf dem Gebiet der alten Köpenicker Kabelwerke gelegen, schon durch seine Fabrikumgebung einen Berlin-typischen postindustriellen Charme aus. Ergänzt wird die urban überdimensionierte Hinterhof-Streetness durch Riesengraffiti an den benachbarten Gebäuden.
Im Kontrast dazu haben einige Architekten und Landschaftsgärtner dafür gesorgt, dass die Ruinen von der Natur beziehungsweise der Freizeitparkskultur zurückerobert werden konnten und neben einem umfassenden Dirt-Ramp-Komplex noch einen schnieken Sandstrand am Spreeufer angelegt. Obwohl der Eröffnungssamstag eher verhangen und kühl war, weckte der Uferbereich des Parks die Aussicht auf bessere Tage und den Gedanken an Grillen, Chillen, Partywillen. Im noch sicherlich kommenden Sommer dürfte es hier also wirklich ziemlichst nett werden. Denn der Mellowpark ist nicht einfach nur eine BMX-Location: Im Gegensatz etwa zu Nur-Skateparks finden sich hier, neben der bereits erwähnten großzügigen Dirt-Strecke und den auch nicht ganz kleinen Street-Ramps, die dem Mellowteam übrigens aus den Beständen der 2000er BMX-Weltmeisterschaft in Köln zur Verfügung gestellt wurden, noch Halfpipes für Skateboarder, Korbanlagen für Streetballer. Und wenn am Strand nicht gerade gechillt wird, lässt sich hier auch ganz wunderbar Beach-Volleyball oder Beach-Soccer spielen. In diesem Areal ist also wirklich alles am Platze, was des Trendsportlers junges Herz so begehren könnte.
Was übrigens kein Zufall ist, denn entstanden ist der Mellowpark aus direkter Initiative der sportlich gesonnenen Jugendlichen selbst beziehungsweise aus der Arbeit des Köpenicker Jugendclubs All. Diese lange Geschichte ist der kurzen Zusammenfassung allemal wert, denn sie zeigt, dass Engagement und Ausdauer über schwierige Situationen und widrige Umstände durchaus auch den Längeren ziehen können. Angefangen hat alles way back in 1976, als das Jugendzentrum All als FDJ-Jugendzentrum gegründet wurde. Ein knappes Vierteljahrhundert und den Untergang des real existierenden Sozialismus später benannte man sich um und firmierte als Allendeclub, organisierte neben den herkömmlichen Veranstaltungen etliche Workshops, knüpfte Kontakte im In- und Ausland, produzierte Tonträger lokaler Bands und, und, und. Die ehrenamtliche Mitarbeit der Jugendlichen war dabei derart engagiert, dass 1994 der Verein alleins e. V. gegründet wurde, und dann kommt so was: Der Bezirk meint, dass ein Shoppingcenter anstelle des Clubgebäudes irgendwie besser passen würde, und reißt das Haus ab.
Da ein Neubau zwar schön versprochen worden war, seine Fundamente aber niemals erst gegossen wurden, musste man notgedrungen umziehen, und der Club wurde auf dem Gelände des heutigen Mellowparks unter dem Namen All wieder eröffnet. Was als Provisorium gedacht war, entwickelte sich aber bald von der Not zur Tugend und zum projektiven Konzept: Wenn man schon neben einer riesigen Industriewüste behaust ist, warum sollte man sich das nicht zunutze und das nämliche Gebiet zum Clubpark machen? In der Folge wurde der staatliche „Jugend entwickelt das neue Berlin“-Wettbewerb gleich zweimal gewonnen, Sponsoren ins Boot geholt und an der weiteren Ausarbeitung gefeilt. Im letzten Jahr schließlich bewies der Probelauf des veranstalteten Mellowpark Jams die Tragfähigkeit des Konzeptes, und seit letzten Samstag hat der Park seine Tore dauerhaft geöffnet. Was als lokales Projekt begann, hat nun dazu geführt, dass Berlin nun – neben der Hochburg Köln – auf der deutschen BMX-Landkarte erscheint. Die Fahrer kommen von fast überallher, und nächstes Jahr finden am Köpenicker Spreeufer die deutschen Meisterschaften statt.
Aber nicht ausschließlich in punkto BMX will sich der Mellowpark einen Namen machen. Dafür sollen nach dem Highway to Hill Contest über den Sommer vier weitere im Monatsabstand stattfindende dicke Veranstaltungen sorgen. So wird im Juni der Mellowpark Jam zum zweiten Mal und mit Headlinern wie Dog Eat Dog, Gentleman oder Curse an den Start gehen, im Juli bietet das 7th Zulu Anniversary einen Tag vor der Love Parade den Old-School-HipHop-Ausgleich zum Technospektakel, der August wird durch den Crossroads Streetjam mitsamt HipHop-Musical bestritten, und der September endlich beschließt den Sommer mit dem Burning Beatz Festival, das noch einmal alles zusammenfasst: MCing, DJing, Breakdance, Graffiti und die ganze Funsportpalette. Das alles wirkt also ausgesprochen ausgegoren und mehr als viel versprechend. Von hier aus sei dem Mellowpark alles nur Gute gewünscht und der Abstecher nach Köpenick wärmstens empfohlen, weil: Ouuuuuuuuu.
Nur eins noch am Schluss, was irgendwie seltsam auffiel: Während das Publikum beim „Highway to Hill“ geschlechteranteilig sehr ausgeglichen war, sah man auf den Ramps und Rädern eigentlich kein einziges Mädel. Was geht? Ist BMX-Fahren tatsächlich eins von diesen reinen Jungs-Dingern? Ein ansonsten Sachkundiger wusste auch nicht so recht und vermutete, dass Mädchen physiologisch einfach zu soft konstruiert seien beziehungsweise auch weniger große Lust auf Schrammen und blaue Flecke hätten. Eine weitere Variante der klassischen Schwaches-Geschlecht-These, oder findet hier mal wieder die Reproduktion genderspezifischer Uralt-Rollenverteilung von männlichem Heldentum (Drachen erlegen, BMX-Fahren) und weiblicher Anbetung (schwer beeindruckt, gerettet und geheiratet werden, bewundern respektive Wunden pflegen) statt? Eine einleuchtende Erklärung, weshalb die Mädels auf der Seite der Aktiven derart hart unterrepräsentiert sind, hatte auch alleins-Mitarbeiter Volker Vorndamme nicht wirklich zu bieten, konnte aber immerhin eines versprechen: „Wir arbeiten dran.“
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