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Die Förderbrücke am See

Landschaftsbilder aus der Lausitz: Die Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land sucht eine Zukunft für das einstige Tagebaurevier zwischen Cottbus und Hoyerswerda – mit einer Collage aus Natur, Tourismus und Industriedenkmälern

von UWE RADA

Der Potsdamer Platz in Berlin war nicht nur die größte Baustelle Europas. Er war, vor allem in den Computeranimationen in der mittlerweile abgebauten Infobox, auch eine Ausstellung über die Zukunft der Stadt. Nach dem Ende des Industriezeitalters, so lautete die Botschaft, wird sich die Dienstleistungsgesellschaft der großen Städte bemächtigen und sie samt ihren Bewohnern in ein Urban Entertainment Center, in eine Art urbanen Freizeitpark verwandeln.

Die Niederlausitz ist nicht nur die größte Landschaftsbaustelle Europas. Sie ist, vor allem in der Vorstellung Rolf Kuhns, auch eine Ausstellung über die Zukunft peripher gewordener Regionen. „Internationale Bauausstellung (IBA) Fürst-Pückler-Land“ hat der ehemalige Direktor der Bauhausstiftung in Dessau sein Vorhaben genannt, bis zum Jahr 2010 das auszustellen, was zwischen Cottbus und Hoyerswerda nach dem industriellen Zeitalter mit seinen Tagebauen, abgebaggerten Dörfern, Kraftwerken und Chemiefabriken folgt. Der Unterschied ist nur der, dass am Potsdamer Platz immerhin das Zentrum der Stadt neu definiert wurde. In der Niederlausitz dagegen bleibt nicht einmal die Landschaft. Sie muss – als Bergbaufolgelandschaft – erst wieder neu erfunden werden.

Unter dem Pflaster liegt der Strand, lautete vor Zeiten eines der utopischen Bilder der Stadt. Was aber liegt unter dem Sand? Vor allem dann, wenn es keine Kohle mehr gibt oder keinen Bedarf mehr an ihr? In Großräschen bei Senftenberg, wo einst die Ziegel für das Rote Rathaus in Berlin hergestellt wurden, soll der Sand erst noch kommen. Vorerst noch aber beginnt – hundert Meter hinter dem Sitz der IBA und ihrem künftigen Ausstellungszentrum – die Abraumkante des Tagebaus Meuro.

Erst 1993 konnte die vollständige Abbaggerung der historischen Gebäude der ehemaligen „Ilse-Bergbau-Aktiengesellschaft“ gestoppt werden. Schon im Herbst soll mit dem Bau der IBA-Terrassen begonnen werden, die die Gegend in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren in eine neue Kulturlandschaft verwandeln sollen. Strand und Strandkörbe, Bootsverleih, Stege, ein neuer Hafen, der aus Großräschen, der Stadt an der Abraumkante, eine Hafenstadt macht – „nichts ist hier unmöglich“, freut sich Rolf Kuhn über das Zentrum der künftigen „Lausitzer Seenlandschaft“. Und Thomas Zenker, der Bürgermeister von Großräschen, wünscht sich, „dass sich die Menschen mit ihrer Stadt und mit ihrer Region identifizieren und hier, nicht woanders, ihre Zukunft sehen“.

Reisen zum Mars

In der Zwischenzeit locken Kuhn und seine Mitarbeiter die Touristen in die übrig gebliebenen Schluchten des Tagebaus zu einer „Reise zum Mars“ oder zur Tagebautour „Canyons, Steppe und Giganten aus Stahl“. Was aber, wenn das utopische Bild eines Sees inmitten der Marslandschaft nicht hält, was es verspricht? Wenn es in Großräschen weder eine Zukunft als Industrielandschaft noch als Arkadien gibt? Wenn der Lausitz ein ähnliches Schicksal droht wie dem Potsdamer Platz, der nach Fertigstellung alle Bilder von der Zukunft der Stadt vergessen ließ?

In Cottbus-Sachsendorf-Madlow hat die Zukunft längst begonnen: Eine Zukunft im Abseits. Eine andere hatte sich, trotz aller Erwartungen, nicht eingestellt. 1991 war Cottbus der Austragungsort der ersten ostdeutschen Bundesgartenschau geworden. Stolz waren die Cottbusser damals auf ihre Stadt und voller Hoffnung. Nun ist die Enttäuschung umso größer: Fast die Hälfte der ehemals 30.000 Bewohner hat die in den Siebziger- und Achtzigerjahren für Bergbauarbeiter erbaute größte Plattenbausiedlung Brandenburgs in den vergangenen fünf Jahren verlassen. Ein Fall nicht nur für Quartiersmanager, Städtebauer und Architekten, sondern auch für Rolf Kuhn. Sichtbar machen will er den Umbau in Sachsendorf-Madlow, der doch eigentlich ein Rückbau ist.

Am sinnfälligsten ist dies in der Theodor-Storm-Straße. Wo einst ein elfgeschossiges Punkthochhaus stand, befinden sich nun fünf Stadtvillen mit jeweils drei Stockwerken, Balkons und Terrassen. Kein Neubau ist das, sondern Resteverwertung. „Von den 3.000 Quadratmetern Wohnfläche des Hochhauses wurden 400 ganz erhalten, und 600 durch die Wiederwerwendung von Plattenteilen neu geschaffen“, sagt Architekt Frank Zimmermann. Durch den Rückbau soll nicht nur die „Energie und die vergegenständlichte Arbeit“ genutzt werden, die in den alten Plattenbauten steckt, sondern auch „Schwellenhaushalten“ eine Alternative zum Weg ins Grüne geboten werden.

So einfach kann Nachhaltigkeit sein. Und so nahe verkehrt sie sich ins Gegenteil: Gleich hinter der Autobahn, die Sachsendorf-Madlow von den Umlandgemeinden trennt, ist in jüngster Zeit ein gigantisches Einkaufszentrum aus dem Boden gestampft worden. Vor allem dem neuen Stadt- und Marktplatz in der Großsiedlung mit seinem weithin sichtbaren Zeltdach droht damit von vornherein die Zukunft einer Totgeburt. Ins Abseits geratene Stadtlandschaften und brachgefallene Industrielandschaften haben manches gemeinsam – zum Beispiel, dass ihnen die Menschen den Rücken kehren, dass sie Laboratorien ähneln, Werkstätten, in denen neue Begriffe erprobt werden, von denen man noch nicht weiß, ob sie von einer Vergangenheit ohne Zukunft handeln oder einer Zukunft ohne Vergangenheit. Rückbau ist so ein Begriff, auch Schrumpfung. Und, natürlich, Landschaft in allen Variationen: Stadt-, Kultur-, Industrie-, Folgelandschaft.

Tage der Arbeitslosen

„Der 1. Mai“, sagt Hajo Schubert, „ist in der Lausitz nicht nur ein Tag der Arbeit, sondern auch ein Tag der Arbeitslosen.“ Der einstige Gewerkschaftssekretär, Arbeitslose, ABMler und IBA-Aktivist Schubert will deshalb dem 1. Mai, wie er sagt, „zu einer neuen Umgebung verhelfen“. „Warum soll man dort dumm rumstehen, wo die Arbeit wegfällt, und nicht dort hingehen, wo neue Arbeit entsteht?“

Was wäre da geeigneter als das Braunkohlekraftwerk in Plessa? 1926/27 erbaut, war es einst das modernste seiner Art, mit seinen hölzernen Türmen eine Landmarke der Lausitz. Dass es heute noch steht, ist allerdings keine Selbstverständlichkeit. „Die Plessaer wollten das Ding weghaben“, sagt Schubert, „die wollten einfach nicht mehr daran erinnert werden, wo sie einmal gearbeitet haben.“

Schubert dagegen wollte das Kraftwerk erhalten, weil er an seine Zukunft glaubte. Nach zahllosen Bürgerversammlungen und mit der Unterstützung von Denkmalschützern, Arbeitsmarktspezialisten und anderen „Spinnerten“ ist er nun soweit. In einer Halle des Kraftwerks eröffnet demnächst ein Betrieb zur Herstellung von Biodiesel, der Rest wird zur einen Hälfte zu einem Museum umgebaut, zur andern Hälfte entsteht eine „Kulturbrauerei“. „In Kooperation mit einer böhmischen Brauerei“, sagt Schubert, „die machen nämlich das beste Bier.“

60 Leuten hat Schubert in Plessa wieder zu Arbeit verholfen, die meisten von ihnen ehemalige Kraftwerksarbeiter. Schubert, alles andere als bescheiden, nennt das eine „Vision, die Wirklichkeit wird“. Was er nicht sagt: Es ist, wie so oft im Osten, eine vom Arbeitsamt bezahlte Vision.

Es war einmal Naturlandschaft. Dann kam die Industrie mit ihren Baggern und Abraumförderbrücken und begann mit ihrem Werk der Zerstörung. Doch nun, am Ende der Industrialisierung, wird alles wieder so schön wie vorher. Zumindest in der Lausitz.

So sieht man Geschichte, Gegenwart und Zukunft aus der Sicht einer Bergbaunachfolgegesellschaft wie der LMBV. Laut Bergbaurecht muss die „Lausitzer und Mitteldeutsche Braunkohleverwertungsgesellschaft“ die Tagebaugebiete nach dem Ende der Braunkohleförderung wieder renaturieren, das heißt, in einen betriebssicheren Status quo ante versetzen. „Hätte sich diese Politik durchgesetzt“, sagt Rolf Kuhn, „wäre von der Lausitzer Industrielandschaft nichts übrig geblieben.“ Auch nicht von der F 60. Die größte Förderbrücke Europas mit ihren 500 Metern Länge und 70 Metern Höhe sollte 1991, kaum neun Monate im Dienst, verschrottet werden. 13.500 Tonnen Stahl, einfach so.

Nun aber steht der „liegende Eiffelturm der Lausitz“ am Rande des ehemaligen Tagebaus Klettwitz-Nord und wartet auf die Touristen. Am 4. Mai wurde die neue Landschaftsmarke der Niederlausitz feierlich eingeweiht: Für Rolf Kuhn einer der größten Erfolge der IBA Fürst-Pückler-Land. Auch deshalb, weil in Lichterfeld-Schacksdorf das künftige Bild der Lausitz als Seenlandschaft schon heute greifbar nahe ist. Dort, wo auf die F 60 einst der Abraum geschaufelt wurde, ist schon Wasser eingelaufen. Bergheider See wird die bis 2005 geflutete Bergbaufolgelandschaft einmal heißen und doch keine Idylle sein, sondern eine Collage von Natur, Tourismus und Industriedenkmal. „Dieser bislang einmalige Umwandlungsprozess in der Lausitz“, sagt Rolf Kuhn, „kann von anderen Regionen in Osteuropa, die vor ähnlichen Aufgaben stehen, genutzt werden.“ Damit spricht Kuhn erstmals vom Zukunftscharakter der IBA selbst. Galt die Vorgänger-Bauausstellung IBA-Emscher-Park als Werkstatt für den Umbau des Ruhrgebiets als industrielle Folgelandschaft, versucht sich die IBA Fürst-Pückler-Land als Modell für schrumpfende Regionen, in denen keine Städte zurückbleiben, sondern allenfalls ein paar Seen und Förderbrücken.

Legoburg der Lausitz

Auch in der Lausitz gab es ein Leben vor der Industrie. Es war die Zeit der slawischen Siedler, deren Nachfahren als Sorben und Wenden noch heute zwischen Spreewald und Oberlausitz leben. Und wie der Bergbau die Natur der Lausitz abbaggerte, so vernichtete er auch zahllose Überreste dieser vorindustriellen Vergangenheit.

Wie gut, dass es nun wenigstens die „Slawenburg Raddusch“ gibt. Mitten auf freiem Feld, neben der Autobahn, steht die Nachbildung dieser slawischen Ringwallburg da wie auf einem Computerbildschirm. Nichts ist hier echt, vermittelt diese Legoburg, alles ist möglich. Einen Vorgeschmack darauf gab es bereits im April, als Rolf Kuhn und die brandenburgische Kulturministerin Johanna Wanka in der Slawenburg eine Ausstellung über die Bodendenkmale der Niederlausitz eröffneten. Mittelpunkt der Feierlichkeiten war eine Ballettperformance des Cottbusser Staatstheaters, die ungewollt die Grenzen einer Landschaftsbauausstellung aufzeigte – zum Beispiel die zwischen dem notwendigen Erhalt einer industriell geprägten Kulturlandschaft und ihrer Neuinszenierung als touristisches Event. Einer Performance, wie sie überall hätte stattfinden können, auch am Potsdamer Platz.

„Friede den Landschaften“ lautete vor kurzem der provokante Schlachtruf des Kultursoziologen Wolfgang Engler. Nicht in einer Inszenierung als Tourismuslandschaft und damit der Fortsetzung eines fragwürdigen Entwicklungsmodells der Angleichung an westdeutsche Standards liege das Zukunftspotenzial der ostdeutschen Peripherie, sondern im „Loslassen“. Die IBA Fürst-Pückler-Land versucht sich noch am Beweis, dass es auch anders geht. Doch es ist bereits absehbar, dass von den Zukunftsbildern am Ende nur noch die Bilder bleiben.

Seit gestern ist die Förderbrücke F 60 für den Publikumsverkehr geöffnet. www.iba-fuerst-pueckler-land.de

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