: „Die Antwort auf braune Wahlerfolge“
Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, fordert ein Antidiskriminierungsgesetz noch vor der Bundestagswahl. Antisemitismus dürfe dabei nicht ignoriert werden. Warnung an CDU: Keine Kampagne starten
taz: Herr Friedmann, die Bundesregierung will das geplante Antidiskriminierungsgesetz nicht mehr vor der Wahl umsetzen. Ist das politisch klug?
Michel Friedman: Nein, das finde ich überhaupt nicht. Dieses Gesetz sollte jetzt verabschiedet werden. Es ist die richtige Antwort darauf, dass es immer mehr braune Punkte auf der europäischen Landkarte gibt.
Sie denken dabei an die Wahl in Frankreich?
Nicht nur. Wir haben bereits einige Regierungen, an denen fremdenfeindliche Parteien beteiligt sind: in Österreich, Italien und Dänemark.
In Regierungskreisen heißt es, das Gesetz sei mit heißer Nadel gestrickt. Ist eine Vertagung dann nicht sinnvoll?
Es gibt überhaupt keinen Grund, das Gesetz weiter zu verschieben. Das Vorhaben ist lange bekannt, sollten noch Korrekturen nötig sein, könnten diese in den nächsten Wochen durchgeführt werden.
Aus der SPD hört man, dass das Gesetz vor der Wahl nur kommen könne, wenn das umstrittene Merkmal „Religion“ gestrichen wird. Ist das ein gangbarer Kompromiss?
Der Zentralrat der Juden besteht ausdrücklich darauf, auch die Diskriminierung wegen der Religion zu ächten. Gerade der Antisemitismus, also die religiöse Verfolgung des Judentums über Jahrhunderte in Europa und auch in unserer Gegenwart, beweist wie dringlich die Religion als Merkmal dieses Gesetzes beibehalten werden muss. Insbesondere Deutschland mit seiner Geschichte muss sich hier eindeutig positionieren. Wenn das Gesetz den Antisemitismus ignoriert, wäre es schlichtweg unglaubwürdig.
Aber legen nicht auch jüdische Gemeinden Wert darauf, gezielt jüdische MitarbeiterInnen einstellen zu können oder ihre Sozialeinrichtungen vorrangig für die eigenen Mitglieder offen zu halten?
Selbstverständlich. Religionsgemeinschaften sind Tendenzbetriebe, die im Kernbereich ihrer Tätigkeit nicht beliebig sein können. Hierzu liegen aber vernünftige Kompromissvorschläge auf dem Tisch. Worüber jetzt noch gestritten wird, ist die Diskriminierung im Alltag, zum Beispiel bei der privaten Vermietung von Wohnungen.
Das Gesetz könnte stark in die Privatautonomie der BürgerInnen eingreifen. Sehen Sie als Rechtsanwalt das nicht mit zwiespältigen Gefühlen?
Aus dem Grundgesetz ergibt sich eine klare Ablehnung der Diskriminierung auch im Alltag, dort wo Menschen wegen Hautfarbe, Religion oder sonstiger sinnloser Kriterien benachteiligt werden. Der Staat muss zeigen, dass das nicht akzeptabel ist.
Fürchten Sie nicht, dass Ihre Partei, die CDU, ein Antidiskriminierungsgesetz der rot-grünen Regierung im Bundestagswahlkampf gnadenlos angreifen würde?
Ich warne alle Beteiligten davor, mit einer solchen Kampagne um Stimmen zu werben. Rassismus und Diskriminierung dürfen nicht hingenommen werden. Das gilt für alle Parteien.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH
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