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Reizender Professor

Der Berliner Jurist, Zeithistoriker und Publizist Arnulf Baring feiert heute seinen 70. Geburtstag. Ein Besuch bei einem umstrittenen Intellektuellen

von PHILIPP GESSLER

Opfer professoraler Arroganz zu werden, kann erfrischend sein. Den Einwand, ein Treffen in wenigen Stunden sei wegen der dann eher schlechten Vorbereitung, ja womöglich dummen Fragen nicht ratsam, wischt Arnulf Baring am Telefon so charmant wie maliziös beiseite: Das sei er doch gewöhnt, meint der Berliner Jurist, Zeithistoriker und Publizist. Also, abgemacht, gleich an diesem Abend! Bei ihm zu Hause, er müsse noch die Kinder ins Bett bringen. Sogleich hinaus denn zur altrosa Villa im ruhigen Viertel Schlachtensee. Von außen leuchtet die Bibliothek des Altbaus. Die Wände bis zur hohen Decke sind von Buchregalen verdeckt. Hier muss es sein.

Der Professor emeritus der Freien Universität, der heute 70 Jahre alt wird, öffnet die Tür – die Klingel („defekt, bitte öfters klingeln“) hat offenbar funktioniert. Sohnemann huscht im Flur vorbei, gibt, gut erzogen, die Hand. Von Moritz ist später nur noch gelegentliches Gekicke im Nebenraum zu hören. Der umstrittene Intellektuelle bittet in die Bibliothek, in der, überaus passend, ein Cello die hintere rechte Ecke schmückt. Baring setzt sich in eines der drei Sofas, das schöne, weiß behaarte Haupt mit den Denkerfalten abgestützt mit einer Hand. „Ich behaupte manchmal im Scherz“, sagt er als erstes, „dass ich der einzige Mensch bin, der genau weiß, was er am 8. Mai 1945 gemacht hat.“

Geburtstag am Kriegsende. Der 13. Ein Taschentuch, mittlerweile verloren, habe er damals geschenkt bekommen. Wegen seines Geburtstags und solch persönlicher Details erinnere er sich noch an diesen Tag, erklärt Baring: Im Gegensatz zu den flüchtenden, noch kämpfenden oder einfach verwirrten Menschen im Chaos dieses Tages der Befreiung und Niederlage – übrigens in der öffentlichen Debatte beides bedeutungsschwangere Begriffe, die Baring an diesem Abend meidet. „Meine Frau sagt immer, dass sich alle meine Defizite auf das Kriegsende, den Untergang Dresdens und den Russeneinmarsch zurückführen lassen“, sagt Baring und wechselt in die unpersönliche Form: „Man ist dadurch schon sehr geprägt.“

Auch wenn ein wenig Koketterie mitschwingt: Übertrieben ist das nicht. Im ziemlich gut geschriebenen ersten Kapitel von Barings Buch „Es lebe die Republik, es lebe Deutschland“ (1999) schildert er die Bombardierung seiner Geburtsstadt Dresden. Es sind offenkundig traumatische Erlebnisse, die Baring als Kind er- und nur gerade so überlebt hat. Seine Großmutter Anna rettete ihm damals instinktiv das Leben, indem sie ihn aus einem intakten Bombenkeller in das brennende „Elbflorenz“ zerrte – 73 Menschen starben kurze Zeit später in dem Keller, Baring und seine Großmutter Anna überlebten. Seine Tochter aus zweiter Ehe hat Baring nach der Mutter seiner Mutter genannt.

Hat Baring sein Weltbild auf diesen Erfahrungen aufgebaut? Ist dies sein Altersthema geworden: die bedrohte Nation? Wer die zumindest gedankliche Nähe des Professors zu deutschnationalen Kreisen in den vergangenen Jahren beobachtet, kann zu diesem Schluss kommen, wird aber von Baring korrigiert: „Ich würde mich nicht als Deutschnationalen bezeichnen. Ich habe keine Bezeichnung für das, was ich bin“, sagt er, „halte mich für relativ undogmatisch.“

Mitte der Neunzigerjahre aber lobte er ein zentrales Thesenpapier des deutschnationalen Flügels der Berliner FDP um Exgeneralbundesanwalt Alexander von Stahl schlicht als „prima“ und sprach sich für eine Positionierung der FDP rechts von der Mitte aus. 1994 referierte Baring vor den Herrschaften des national gesonnenen „Dienstagsgesprächs“ im Hilton am Gendarmenmarkt. Die berüchtigte Herrenrunde wurde vom Staatsschutz kritisch beäugt und löste eine Senatskrise aus, weil auch der Sprecher des damaligen CDU-Innensenators Dieter Heckelmann an ihr teilnahm.

Alles kalter Kaffee? Die taz hat ihm vergangenes Jahr schon „Altersmilde“ attestiert – und wer dem Professor im grünen Wollpullover und schwarzen Lederpantoffeln gegenüber sitzt, ist schon fast überrascht, wenn in einem scheinbar harmlos-gepflegten Gespräch solch typische Baring-Sentenzen schlüpfen, doppeldeutig, bodenlos, wie: „Die Reformunfähigkeit des Landes, das Mimosenhafte der Deutschen und die öffentliche Larmoyanz sind auch ein Ergebnis dieser ständigen Beschäftigung mit Auschwitz.“ Oder, vor genau einem Jahr im „Tränenpalast“ während eines Spiegel-Forums zum Thema „Die Gegenwart der Vergangenheit“ verkündet: „Nur ein Stück von jenem Enthusiasmus, den der Hitler vor und vor allem nach 1933 erweckte, würde reichen, alle unsere Probleme sofort zu lösen.“ Der frühere CDU-Parteichef Wolfgang Schäuble, gewiss kein politisch überkorrekter Linker, reagierte auf einen dieser Baring’schen Schimmersätze auf dem Spiegel-Forum mit dem klugen Satz: „Herr Baring, Sie machen es Ihren Diskussionspartnern leicht, Sie misszuverstehen.“ Aber sind das wirklich nur Missverständnisse? Oder steckt dahinter Methode? Es scheint, als nutze Baring um der Provokation und der öffentlichen Aufmerksamkeit willen Schlüssel- und Reizworte des rechtsnationalen Diskurses – um zugleich, etwas beleidigt, auf das Kleingedruckte seiner Thesen zu verweisen, sobald er den Vorwurf kontern soll, er sei der Stichwortgeber der Neuen Rechten: „Ich spitze zu“, sagt er in seiner gedämpft beleuchteten Bibliothek, „wer sich auf den Meinungsmarkt begibt, darf nicht zimperlich sein.“ Zudem: „Ich suche keine Aufmerksamkeit um ihrer selbst willen. Ich suche keine Gelegenheiten für Provokationen. Aber ich weiche dem Streit auch nicht aus. Das halte ich für meine Pflicht.“

Baring erzählt, seine „glücklichste Zeit“ seien die zwei Jahre gewesen, die er als Politik-Redakteur beim WDR verbracht habe – und wahrscheinlich wird man diesem Intellektuellen am besten gerecht, wenn man seine politischen Äußerungen eher als streitbare journalistische Frechheiten fürs Tagesgeschäft begreift. Er sei eben von bedachtsamen Diskussionen schnell gelangweilt, meint ein ehemaliger Schüler von ihm. Und Baring sei, schon wegen seiner Eiteilkeit, stets ein Einzelkämpfer gewesen: „Er war immer solitär.“ Deshalb habe Baring mit Leuten wie dem Holocaust-Relativierer Ernst Nolte nie etwas zu tun gehabt. Auch von neurechten Politikern wie von Stahl oder Manfred Brunner habe sich der ehemalige SPD-Genosse und Brandt-Freund nie einspannen lassen – nicht zuletzt, weil er glaubte, dass die es eh nicht bringen: „Baring ist ungern auf der Seite der Verlierer.“ Er wolle nicht der einsame Rufer in der Wüste sein – eher der einsame Rufer in der Oase.

Der Abend ist lang geworden, Moritz muss jetzt wirklich ins Bett. Melancholie ergreift den Professor: „Ich bin nicht überzeugt, dass die Menschheit rechtzeitig lernt, die Gefahren der weltweiten ökologischen Verwüstung zu beheben. Tschernobyl hat als Schock offensichtlich nicht gereicht.“ Das Gespräch kreist um die letzten Dinge: „Es gibt in der katholischen Messe einen Satz: ‚Ach, Herr, ich bin nicht würdig, dass Du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, dann wird meine Seele gesund.‘ Ich weiß nicht, ob ich den Satz ganz verstehe, aber er wirkt auf mich sehr tröstend.“ Dann geleitet er den Gast zur Tür, winkt kurz zum Abschied. Es ist eine Geste von gestern.

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