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Gemeinsam gegen die Brandschatzer

■ Über 700 Menschen demonstrieren gegen Blumenthaler Brandanschläge. Neue Wohnungen für drei Familien

Elf Tage nach den Brandanschlägen auf zwei von Einwanderern bewohnte Häuser in Bremen-Blu-menthal hat das öffentliche Schweigen ein Ende. Über 700 Menschen gingen am Mittwoch in Bremens nördlichstem Stadtteil auf die Straße, um Solidarität mit den Opfern der Attentate zu zeigen und gegen die Gewalt zu protestieren. Fünf Familien waren in der George-Albrecht-Straße vor einer Woche nur knapp dem Tod entronnen. „Diese Menschen sollen nicht das Gefühl haben, das sei uns egal“, sagt Harm Ridder, Ex-Pastor aus Blumenthal und Initiator der Kundgebung, zu der zwei Kirchengemeinden und drei Moscheen aufgerufen hatten. Mit Mutmaßungen über den oder die TäterInnen hielten sich am Mittwoch alle betont zurück. „Über die Hintergründe der Anschläge wissen wir nichts“, sagte Ridder. Sie seien aber auch unerheblich: „Diese Gewalt lehnen wir grundsätzlich ab. Das ist verbrecherisch.“ Nach wie vor ermitteln Polizei und Staatsschutz.

„Ich habe das Erdbeben in der Türkei vor zweieinhalb Jahren erlebt“, sagt Hüseyin Celik, vor dessen Wohnungstür vorletzten Samstag die Flammen loderten: „Aber was hier passiert ist, das ist viel schlimmer – das haben Menschen gemacht.“ Noch immer hängt der Brandgeruch im Haus, ist alles voller Ruß. Die Wohnung und ein Großteil der Möbel und Kleider sind unbrauchbar, die vierköpfige Familie fürs Erste bei Verwandten untergekommen. Dort wohnen sie jetzt zu sechst – „auf 45 Quadratmetern“.Für drei andere der fünf betroffenen Familien hat das Sozialamt inzwischen Ersatzwohnungen gefunden und Mittel für neue Möbel bereitgestellt. Die psychischen Folgen der Brandanschläge jedoch kann das nicht beheben. Frank Brede, Leiter des Blumenthaler Sozialzentrums, weiß: „Die Leute sind ziemlich fertig.

Vor dem Supermarkt steht eine Gruppe muslimischer Frauen. „Ich wohne seit 30 Jahren hier in Blumenthal, da ist noch nie was passiert“, sagt eine. Seit den Anschlägen herrscht Angst – trotz verstärkter Polizeistreifen. Auch wenn es niemand sagt: Der Gedanke an einen fremdenfeindlichen Hintergrund der Tat ist allgegenwärtig. „Wir möchten hier weiter alle zusammen leben“, sagt die Frau, die anderen nicken. „Wir können nur existieren, wenn wir uns gegenseitig unterstützen“, haben Demonstranten auf Karton geschrieben.

Unterstützung, auch durch die Politik, hatten die größtenteils türkischstämmigen BremerInnen aus der Gegend in den Tagen nach dem Anschlag vermisst. Bei der Kundgebung war das offizielle Bremen vertreten, unter anderem durch Helmut Hafner aus der Senatskanzlei und die Bremer Bundestagsabgeordnete und Ausländerbeauftragte der Bundesregierung Marieluise Beck (Grüne). Ihre Bremer Amtskollegin Dagmar Lill war um Schadensbegrenzug bemüht, sprach ihre nachträgliche Anteilnahme aus. Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) zeigte sich „überwältigt“ von der großen TeilnehmerInnenzahl. Sie verurteilte die „feigen Brandanschläge“ und dankte Selcük Sevinc, der in der Brandnacht das Schlimmste verhindert hatte. Mustafa Erkan, Vorbeter der Selimiye-Moschee forderte, Christen und Muslime müssten „aufeinander zugehen“. hoi

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