: Supernova nahe der Erde
Ein explodierender Stern hat vor zwei Millionen Jahre auf der Erde eine Ökokatastrophe ausgelöst. Das zumindest glauben einige Forscher. Die in einer Entfernung von 120 Lichtjahren freigesetzte energiereiche Strahlung löschte zahlreiche Arten aus
von KENO VERSECK
Anfangs mag den Australopithecus eine instinktive Panik erfasst haben. Nach einigen Tagen, als kein Unheil geschah, blickte er vielleicht mit kindlicher Verwunderung empor: Der neue Stern strahlte am Taghimmel als grelles, gleißendes Scheibchen.
Das Schauspiel dauerte einige Wochen. Dann wurde das Leuchten des neuen Sterns im Laufe von Monaten langsam schwächer, bis er irgendwann vom Himmel verschwand. Als das anfangs ausgebliebene Unheil seinen Lauf nahm, waren längst Jahre vergangen.
Was die ersten Urmenschen vor zwei Millionen Jahren gesehen hatten, war die Explosion eines massereichen Sterns – eine Supernova. Welche Auswirkungen sie auf die Biosphäre der Erde haben sollte, konnten die fernen Vorfahren des Homo sapiens nicht ahnen: Über Jahrhunderte hinweg prallte die Röntgen- und Gammastrahlung der Explosion auf die Erdatmosphäre und zerstörte langsam die Ozonschicht. Dadurch konnte für Lebewesen schädliches oder sogar tödliches UV-Licht der Sonne die Erdatmosphäre ungehindert durchdringen.
Vor allem Meereslebewesen wie Plankton, Algen oder Korallen starben durch direkte Strahlungseinwirkung. Damit fehlte die Nahrungsgrundlage für andere Wasserlebewesen wie Muscheln und Fische.
In Fachkreisen ist das Phänomen als „marines Sterben an der Pliozän-Pleistozän-Grenze“ bekannt. Es erreichte zwar längst nicht das Ausmaß des Artensterbens der Kreide-Tertiär-Zeit vor 65 Millionen Jahren, als unter anderem die Saurier verschwanden, war aber groß genug, um Forscher seit langem über mögliche katastrophische Ursachen rätseln zu lassen.
Eben in einer Supernova glauben spanisch-amerikanische Forscher nun die Ursache für das Artensterben vor zwei Millionen Jahren gefunden zu haben. „Wir haben die damalige Position des Sonnensystems und seiner Umgebung kalkuliert“, sagt Narciso Benítez, einer der Forscher. „Wir haben Modelle von Supernova-Explosionen durchgerechnet und Untersuchungen fossiler und geologischer Ablagerungen miteinander verglichen. Die Sternexplosion konnten wir zwar nicht exakt lokalisieren, aber alles deutet darauf hin, dass eine nahe Supernova die Ökokatastrophe ausgelöst hat.“
Ihre Studie stellten die Astrophysiker Narciso Benítez und Jesús Maíz-Apellániz und die Biologin Matilde Canelles Anfang Januar vor. Derzufolge befand sich das Sonnensystem vor zwei bis dreieinhalb Millionen Jahren nahe an der Scorpio-Centaurus-OB-Sternassoziation, einer weiträumigen Ansammlung heißer, sehr massereicher Sterne der O- und B-Klasse.
Anders als die Sonne, die eine Lebenszeit von etwa 10 Milliarden Jahren hat, brennen solche Sterne nach ihrer Entstehung nur einige Millionen Jahre lang. Vor etwa zwei Millionen Jahren muss ein Stern am Rand der Scorpio-Centaurus-Assoziation der Erde auf bis zu 120 Lichtjahre nahe gekommen und dann explodiert sein.
Eine solche Supernova findet statt, wenn ein massereicher Stern alle leichten Elemente wie Wasserstoff und Helium schrittweise zu schwereren Elementen bis hin zum Eisen fusioniert hat und dann ausgebrannt ist. Unter der Gravitationskraft der schweren Elemente im Kern stürzt der Stern in sich zusammen. Hat dieser Kollaps ein bestimmtes kritisches Stadium erreicht, kehrt er sich schlagartig in eine gewaltige Explosion um – die Supernova. Bei ihr wird in der ersten Sekunde der Explosion eine unvorstellbar große Energiemenge freigesetzt – etwa so viel, wie in derselben Sekunde alle 100 Milliarden Sterne aller 100 Milliarden Galaxien des Universums abstrahlen.
Obwohl die Scorpio-Centaurus-Supernova vor 2 Millionen Jahren nur einen kosmischen Katzensprung entfernt lag – allein die Milchstraßenscheibe hat einen Durchmesser von 100.000 Lichtjahren –, „war die Distanz immer noch zu groß“, so Benítez, „um einen direkten vernichtenden Einfluss auf die Biosphäre der Erde zu haben“. Aber die Strahlung der Explosion löste in den oberen Atmosphärenschichten die Bildung von Stickoxiden und anderen reaktionsfreudigen chemischen Verbindungen aus, die dann ihrerseits die Ozonmoleküle zerstörten – ein Mechanismus, der aus der Klimaforschung bekannt ist.
Möglicherweise wurde der Effekt der Supernovastrahlung auf die Atmosphäre durch die spezifische Lage des Sonnensystems in der Milchstraße begünstigt: Es befindet sich innerhalb der so genannten „Lokalen Heißen Blase“, einer Region von etwa 500 Lichtjahren Ausdehnung, in der die Gas- und Staubdichte deutlich geringer ist als im normalen interstellaren Medium. Gebildet hat sich die Blase vermutlich nach früheren Supernovae, deren Explosionsschockfront Gas- und Staubwolken vor sich her geschoben hat.
Da die Scorpio-Centaurus-Supernova vor zwei Millionen Jahren innerhalb einer solchen Blase stattfand, konnte die Strahlung besser bis zum Sonnensystem vordringen als in einer gas- und staubreichen Umgebung. In hohen Breiten könnten damals über Jahrhunderte hinweg bis zu 60 Prozent der Ozonschicht zerstört gewesen sein, am Äquator bis zu 20 Prozent, glauben die Autoren der Studie. „Bislang haben wir die UV-Strahlungseffekte auf marine Organismen erforscht“, sagt Benítez. „Vielleicht waren auch Landlebewesen betroffen. In dieser Richtung werden wir weiter suchen.“
Unter Wissenschaftlern sind die Wirkungen der kosmischen Strahlung auf die Erde und ihre Atmosphäre zwar nicht umstritten, aber auch noch nicht detailliert geklärt. Forscher nehmen an, dass kosmische Strahlung nicht nur das Klima beeinflusst, sondern durch ihren mutagenen Effekt auch die Evolution voran getrieben hat.
Astrophysiker aus dem US-Bundesstaat Texas haben zur Wirkungsweise kosmischer Strahlung auf die Erde, auf andere Himmelskörper im Sonnensystem und Planeten um andere Sterne kürzlich eine Studie mit physikalisch-mathematischen Modellen vorgelegt. „Genügend energiereiche kosmische Strahlung wie die aus Supernovae oder Gammablitzen wird in der Erdatmosphäre nicht einfach absorbiert“, sagt der Astrophysiker J. Craig Wheeler, einer der Autoren der Studie. „Durch Wechselwirkung mit Atomen heizt die Strahlung die Atmosphäre auf oder kommt auf der Erdoberfläche als degradierte UV-Strahlung an. Da Supernovae in der Nähe des Sonnensystems alle zehn bis hundert Millionen Jahre, also erdgeschichtlich relativ häufig vorkommen und eine lang anhaltende Strahlung aussenden, könnten sie evolutionäre Prozesse direkt steuern.“
Die Reste solcher nahen Supernovae haben Astronomen am Himmel noch nicht sichten können. Überhaupt wurden in der Milchstraße bisher nur drei Supernovae direkt beobachtet: die chinesische 1054, die Tychonische 1572 und die Kepler’sche 1604, von denen die chinesische mit 4.500 Lichtjahren Entfernung noch am dichtesten lag.
Doch auf der Erde gelang zwei Münchner Physikern 1999 eine bahnbrechende Entdeckung: Klaus Knie und Gunther Korschinek untersuchten Eisen-Mangan-Krusten vom Ozeangrund des Südpazifik, die bis fünf Millionen Jahre alt sind. Sie fanden heraus, dass einige Krusten einen erhöhten Anteil an speziellen radioaktiven Eisenatomen enthielten, das so genannte Eisen-60-Isotop. Genau das wird bei Kern-Kollaps-Supernovae in großen Mengen produziert und ins Weltall geschleudert. Knie und Korschinek berechneten, dass das Eisen-60 in der zwei Millionen Jahre alten Eisen-Mangan-Kruste von einer 100 bis 150 Lichtjahre entfernten Supernova stammen müsse und nach der Explosion über einen langen Zeitraum hinweg auf die Erdoberfläche „herabgeregnet“ war.
Unter anderem diese Untersuchung benutzten die drei spanisch-amerikanischen Forscher Benítez, Maíz-Appellániz und Cannelles für ihre These, dass eine Supernova vor zwei Millionen Jahren eine ökologische Katastrophe ausgelöst habe. Klaus Knie und Gunther Korschinek sehen darin jedoch eine unvorsichtige Schlussfolgerung. „Es ist zwar richtig, dass es vor zwei Millionen Jahren in der Nähe des Sonnensystems eine Supernova gegeben haben muss“, sagen die beiden Physiker, „aber der rein zeitliche Zusammenhang mit dem Artensterben ist noch kein Beweis. In dem Zeitfenster, um das es geht, nämlich eine Million Jahre, kann außer einer Supernova noch vieles andere passiert sein, ein Asteroideneinschlag zum Beispiel oder Klimaschwankungen.“
Dem experimentellen Nachweis, welche Folgen nahe Supernovae haben, muss sich die Erde zumindest in den nächsten einigen hunderttausend Jahren nicht unterziehen. Im Scorpio-Centaurus-Haufen, von dessen Zentrum das Sonnensystem inzwischen 300 Lichtjahre entfernt ist, gibt es den einzigen Supernova-Anwärter, der relativ nahe am Sonnensystem liegt: Antares, der rötlich leuchtende Hauptstern des Tierkreiszeichens Skorpion. Er wird innerhalb der nächsten Million Jahre explodieren. Mit etwa 450 Lichtjahren Distanz ist er jedoch zu weit entfernt, um auf der Erde Schaden anzurichten.
Klaus Knie und Gunther Korschinek finden es deshalb auch besser, auf die positiven Effekte von Supernovae anstatt auf ihre Katastrophenwirkung hinzuweisen: Durch die schweren Elemente wie Silizium, Nickel und Eisen, die Supernovae bei ihren Explosionen herausschleudern, sind sie Voraussetzung dafür, dass sich um Sterne nachfolgender Generationen feste, gesteins- und metallhaltige Planeten wie die Erde bilden.
„Alles auf der Erde ist gewissermaßen Enkel der Supernovae“, sagen die beiden Physiker. „Zum Beispiel wurde das Blech von jedem Auto, das auf der Straße herumfährt, in einer Supernova produziert. Jeder Mensch strahlt mit ein paar Kilobequerel vor sich hin, durch das radioaktive Kalium-40, das aus Supernovae stammt und eine Lebensdauer von über einer Milliarde Jahre hat. Ohne Supernovae gäbe es uns nicht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen