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Als einiges noch anders ging

Kult ist immer dann das richtige Wort, wenn höchstens fünf Prozent der Zuschauer überhaupt begreifen, worum es eigentlich geht: Klaus Maecks Film „Decoder“ im Alabama-Kino

von LARS BRINKMANN

Ein friedlicher Burger-Laden. Während im Hintergrund Plastikmusik rieselt, sitzen die Menschen auf Plastikstühlen und mampfen glücklich ihr Plastikessen. Alles ist in bester Ordnung– bis die Musikkonserve ein jähes Ende findet – mit dem Einsetzen des manipulierten Bandes wandelt sich die Fastfood-Idylle in einen Alptraum. Willkommen in der Realität: Die Hamburger, sowohl das tote als auch das lebendige Fleisch, sehen wieder so aus wie sie einst geschaffen wurden – grau und unappetitlich.

Hauptsache Musik! Diese goldene, einst von der Berliner Band Mutter zum Titel erhobene Parole bekommt im Zusammenhang mit dem Film Decoder eine neue Bedeutung. Denn die Wurzel allen Übels liegt hier in der Muzak begraben, in dieser konstanten, allgegenwärtigen Berieselung mit psychisch manipulativer Hintergrundmusik. Ironischerweise ist der terroristische Held des Films FM Einheit, der von Alt-Punks auch gern Muffti genannte einstige Leistungsträger der Einstürzenden Neubauten, der inzwischen mit Andreas Ammer Hörspiele und solo Musik für Theaterproduktionen realisiert. Wie die Neubauten kehrte Muffti irgendwann der Subkultur den Rücken, um in der staatlich geförderten Hochkultur seine Brötchen zu verdienen. Das sei ihm gegönnt; wie es anders geht, zeigt er in Decoder.

„Selbst das scheinbar fiktive in diesem Film ist hundertprozentig realisierbar, wenn es nicht schon lange unmerklich geschieht. Es geht um sublime Manipulation durch Wort, Bild und Ton, wie sie ununterbrochen auf allen Ebenen stattfindet. Und es ist die Aufgabe der Piraten, diese Technik zu durchschauen und im eigenen Interesse anzuwenden“, so Regisseur Klaus Maeck in seinem Decoder Handbuch 1984.

Als waschechtes Produkt der 80er ist Decoder randvoll mit Ideen, die aus dem Dunstkreis der „Industrial Culture“ stammen. Vor Internet und anderer weitläufiger Vernetzungen dienten „Hidden Informations“ als der heilige Gral. Der Schlüssel zum Glück lauerte dort, wo ihn keiner finden konnte, etwa in den Cut-Up-Experimenten von Brion Gysin und William S. Burroughs, der hier kurz als Elektro-Höker zu sehen ist. In einer anderen Szene des Films proklamiert Genesis P. Orridge, als Kopf von Throbbing Gristle und Psychic TV einer der profiliertesten Protagonisten des Industrial: „Information wird geschüzt wie das Geld auf einer Bank. Manche haben sehr viel davon, andere nur sehr wenig. Und es wird scharf bewacht, dieses ‚Kapital‘. Unser Job ist es, diese Bank zu knacken, und uns all das zurückzuholen, was uns zusteht, ohne Rücksicht auf Verluste.“

Heutzutage ist dieses „Wissen“, das sich im Verlauf des Films als Wust von Seitensträngen niederschlägt, mühelos auf einer Website wie zum Beispiel www.disinfo.com zu finden. Dennoch bleibt Decoder ein besonders charmanter Kultfilm – denn Kult ist immer dann das richtige Wort, wenn höchstens fünf Prozent der Leser wissen, worum es eigentlich geht – also: Weißt Bescheid oder was?!

Sa + So, 22.45 Uhr, Alabama

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