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Sparen für den Rechtsanwalt

■ Der Täter-Opfer-Ausgleich ist eine Bremer Erfolgsstory. Deshalb wurde er in die Stadtteile ausgeweitet. Aber jetzt fehlt das Geld. In Problemvierteln droht den Schlichtern das Aus

Alle Zeichen stehen auf Schrumpfkur für den Täter-Opfer-Ausgleich in Bremen. Ausgerechnet die sozialen Brennpunkte der Stadt soll es zuerst treffen.

Auf der Aus-Liste ganz oben rangieren die Beratungsdienste in der Neuen Vahr, in Lüssum und im Marßeler Feld. Doch diesmal streicht nicht eine einzelne Senatsbehörde mutwillig. Vielmehr laufen die Fördergelder aus dem WIN-Topf für Nachbarschaftsprojekte einfach aus – und zwar bei den ältesten Projekten von „Schlichten in Nachbarschaften“ zuerst.

Bislang zahlen für den Täter-Opfer-Ausgleich nur die Sozial- und die Justizbehörde rund 160.000 Euro Grundsicherung im Jahr. Wenn es nicht gelingt, mehr Geld loszueisen, dann sind bald auch Huchting, Grohn und Blockdiek an der Reihe. Und das, obwohl die Schlichtungs- und Wiedergutmachungseinrichtungen, in denen zumeist jugendliche oder heranwachsende männliche Ersttäter sich ihren Opfern stellen und den angerichteten Schaden wieder gut machen müssen, doch erst vor drei Jahren in zehn Stadtteile ausgeweitet wurden.

Gelegenheit dazu bot das Projekt für „Wohnen in Nachbarschaften“ (WIN), das mit außerbremischem Geld gefördert wird. Beispiel Tenever: Dort bringt WIN über mehrere Jahre rund 250.000 Euro jährlich. Um dieses Geld rangeln seither verschiedene Träger von Nachbarschaftsarbeit. Auch das Täter-Opfer-Programm wurde mit seiner Hilfe vor Ort verankert. „Anwälte verdienen jetzt weniger an Nachbarschaftsstreitereien, die Polizei wird entlastet“, sagt Joachim Barloschky, von der Stadtteilgruppe Tenever.

Dort zahlt in diesem Jahr sogar das Innenressort einen Beitrag von 6.000 Euro. Zuvor war das Schlichtungsprojekt, in dem zwei von drei MitarbeiterInnen ehrenamtlich arbeiten, im Jahr 2001 in Tenever aus Finanzgründen fast zum Erliegen gekommen. „Dabei nimmt diese Arbeit viel Druck aus den Nachbarschaften “, sagt Barloschky.

Am Wert der Konfliktschlichtung, die als Täter-Opfer-Ausgleich rund zehn Jahren beim Vegesacker Gustav-Heinemann-Bürgerhaus bewusst justizfern angesiedelt wurde, zweifelt in Bremen wohl kaum jemand. Auch hat die EU den Bremer Täter-Opfer-Ausgleich inzwischen mit einem Preis ausgezeichnet. Seine „Macher“ bilden sogar Konfliktschlichter in anderen Bundesländern aus; Lehrer in Niedersachsen beispielsweise. Doch die WIN-Gelder dürfen nur drei Jahre lang in „innovative Modellprojekte“ fließen. Danach müssen diese sich selber finanzieren.

Um die Gefährdung des bundesweit anerkannten Projektes öffentlich zu erörtern, lädt die SPD-Bürgerschaftsfraktion deshalb kommende Woche zur öffentlichen Debatte ein. „Das nenne ich kühn“, sagt der Grüne Bürgerschaftsabgeordnete Hermann Kuhn. Schließlich sei die grüne Forderung, die Schlichtungs-Arbeit finanziell abzusichern, von SPD und CDU bei den Haushaltsberatungen abgelehnt worden. „Es gibt nichts Besseres und Billigeres, um Opfer zu ihrem Recht kommen zu lassen und auch noch teure Verfahren und Haft zu vermeiden“, sagt Kuhn.

Tatsächlich hat sich die Nachfrage nach dem Angebot in den vergangenen fünf Jahren vervielfacht. Gingen 1997 nur 102 Fälle ein, waren es im Jahr 2001 schon 669. Verzehnfacht haben sich dabei die Fälle, die den Täter-Opfer-Ausgleichern von der Staatsanwaltschaft zugewiesen wurden (2001:173). Auch die Meldungen durch die Polizei haben sich verdreifacht (2001: 65). Ebenso die Zahl derjenigen, die von sich aus um Beistand bitten – etwa im Umgang mit dem agressiven Nachbarn, dem gewalttätigen Ehemann oder der aggressiven Jugendclique im Stadtteil. ede

Am Mittwoch, 15. Mai, lädt die SPD-Fraktion zur öffentlichen Debatte in die Bürgerschaft. 18 Uhr 30, Raum 2.

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