: Hamster auf der Flucht
Von privaten Mythologien zu politischen Allegorien: Das Arsenal zeigt 16 ausgewählte Filme der verstorbenen kanadischen Filmkünstlerin Joyce Wieland, überwiegend aus den Sechzigerjahren
Filme von Joyce Wieland sind Prüfungen. Was zu sehen ist, wird ständig mit etwas anderem abgeglichen und in neue Zusammenhänge gebracht. Das einzelne Bild, die Wiederholung, der Trick der Montage als Auslöschung real abgefilmter Zeit – jede dieser Strategien kommt bei Wieland ins Spiel, oft gleichzeitig, oft auch ohne einen Erzählfaden, der die Sprünge im visuellen Cut-up wieder verketten könnte.
Plötzlich wird im 1965 fertig gestellten „Water Sark“ jede Einstellung unmittelbar Wahrnehmung. Lauter Fetzen sind das: Ein Spiegel, ein Glas, eine bunte Decke, ein Busen, sie huschen vorbei an der Kamera, die wie im Reflex aufschnappt, was sich ihr darbietet. Die enorme Geschwindigkeit solcher Reizverschiebungen kann aber ebenso gut ins Gegenteil umkippen: Wer würde schon zehn Minuten tropfendes Wasser in „Dripping Water“ (1969) als Haushaltsthriller ansehen? Dann wird das Kino merklich leerer.
Ein einziges Mal hat die 1931 in Toronto geborene Filmemacherin dennoch versucht, aus der Fülle der Bildmomente einen Spielfilm herzustellen. Doch „The Far Shore“ wurde 1976 von der Kritik verrissen und brachte Wieland ein finanzielles Desaster. Danach hat sie nichts Neues mehr gedreht, sondern altes Material neu bearbeitet. 1998 starb sie an einer Alzheimererkrankung. Jetzt sind im Arsenal in zwei Programmen 16 der insgesamt 19 Wieland-Filme zu sehen: ein privater, doch ebenso strukturalistischer, ein feministischer und zugleich humorvoller Umgang mit bewegten Bildern.
Schon „Larry’s Recent Behaviour“ von 1963 merkt man an, dass Wieland einen Sinn für die grafische Auflösung von Realität hatte. Dort sieht man einen jungen Mann, der vom Kopf abwärts mit merkwürdigen Verrenkungen Begriffe wie „Nose“, „Fingers“ oder „Manus Felicitus“ in Gesten übersetzt. Mal baumelt auch ein Penis im Bild, meist aber haben die Aufnahmen etwas überdreht Slapstickhaftes, als würde die Kamera mit dem Darsteller um die Wette albern.
Dabei mag Wieland ihre Ausbildung bei Werbeagenturen und Graphics Animation geholfen haben. Im selben Jahr jedenfalls geht sie mit Michael Snow nach New York, um sich dem Kreis um Jonas Mekas, Barbara Rubin und Hollis Frampton anzuschließen. Die Filmarbeit weitet sich von den privaten, tagebuchartigen Mythologien ins Politische aus: Phallische Hot Dogs marschieren 1964 in „Patriotism“, 1968 wird in „Rat Life and Diet in North America“ mit Hamstern die Flucht vor dem CIA nachgestellt, bei der Wieland die Tiere allerlei extremen Situationen aussetzt – als Symbol für die Grenze der Zivilisiertheit, die von der US-Regierung in Zeiten des Vietnamkriegs längst überschritten ist.
Zugleich kam mit Hollis Frampton der wohl unterhaltsamste Film zustande. „A and B in Ontario“ (1967) zeigt, wie sie sich gegenseitig mit der Kamera filmen, bis die Szene in einen Western-Showdown am Meer mündet. Beide suchen den Shot auf ihr Gegenüber, werden so aber auch Teil der Bedrohung durch den anderen. Das hat bis zur letzten Einstellung nach 17 Minuten eine faszinierende Logik, bei der man selbst gerne mitspielen würde. Als Freund des Sehens und als unbeachteter Beobachter. HARALD FRICKE
Heute, 17 und 19.30 Uhr, im Arsenal, Potsdamer Platz 2
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