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Israel bläst Operation in Gaza ab

Regierung hält sich für ein militärisches Vorgehen alle Optionen offen. In Tel Aviv demonstrieren 60.000 Menschen für ein Ende der Besatzung in den Palästinensergebieten. Arabische Staaten halten an saudischer Initiative für Friedensverhandlungen fest

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Am Sonntagmorgen durften die israelischen Reservisten wieder nach Hause fahren, nachdem am Vortag die Regierung den geplanten Einmarsch in den Gaza-Streifen abgeblasen hatte. Mit ein Grund für das plötzliche Umdenken war offenbar die öffentliche Debatte über die umstrittene Operation. Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliesar kritisierte im Verlauf der Regierungssitzung gestern früh scharf diejenigen im Sicherheitskabinett, die die Nachricht von einer geplanten Aktion an die Presse durchsickern ließen. Die Reservisten hatten bereits Donnerstagmorgen den nicht an Geheimhaltung gebundenen Befehl erhalten, sich bei ihren Einheiten zu melden, um, wie Stabschef Schaul Mofas begründete, „unser Heim zu schützen“. Ben-Eliesar betonte während der Regierungssitzung, dass „alle Optionen für eine Operation in Gaza offen bleiben“.

„Soldaten kommt nach Hause“, riefen am Samstagmorgen am Kontrollpunkt Kissufim zum Gaza-Streifen rund 200 Aktivisten der jüdisch-arabischen Friedensgruppe „Ta’Ayush“ ( „Partnerschaft“) den am Grenzposten stationierten Soldaten zu. „Wir können sofort 40 Busse organisieren, um die Reservisten nach Hause zu bringen“, meinte Niw Gordon, einer der Veranstalter. Zwei vorbeifahrende Soldaten signalisierten per Handzeichen Solidarität mit den Friedensaktivisten. Vorläufig durften sie ihre Posten nicht verlassen. „Vergesst es“, meinte ein anderer Soldat. „Wir alle warten hier nur darauf, endlich losziehen zu dürfen.“

Auf dem Jitzhak-Rabin-Platz vor dem Tel Aviver Rathaus versammelten sich am Abend rund 60.000 Demonstranten zu der größten Friedensveranstaltung seit Beginn der Intifada vor 19 Monaten. Mit hunderten Protestschildern riefen sie zum Ende der Besatzung in den Palästinensergebieten und gegen den „Terror der israelischen Verteidigungsarmee“ auf. Mitveranstalter Arie Arnon von der Bewegung „Peace Now“ meinte, das erklärte Ziel der Aktion sei der Aufruf zu einem „kompletten Rückzug zu den Grenzen von 1967 mit Jerusalem als Hauptstadt zweiter Staaten und die Auflösung aller jüdischen Siedlungen“. Der frühere Justizminister Jossi Beilin (Arbeitspartei) beschuldigte Premier Ariel Scharon, den Staat „in eine Katastrophe zu führen“. Beilin erinnerte an den Mord an Jitzhak Rabin vor sieben Jahren. „Das machte dem Friedensprozess ein Ende.“

Mit großem Jubel wurde die Schlagersängerin Jaffa Jarkoni begrüßt. Jarkoni war in Staatsgründungszeiten mit ihren vaterländischen Liedern populär geworden. Die jüngste Militäroperation verurteilte sie scharf, musste daraufhin Fernsehauftritte absagen und wurde seither von den israelischen Sendestationen boykottiert. Vor ihrem Auftritt bei der Kundgebung hatte sie Morddrohungen erhalten.

Am Samstagabend endete der Gipfel der drei arabischen Staaten Ägypten, Saudi-Arabien und Syrien in dem ägyptischen Urlaubsort Scharm al-Scheich. Die drei Staatsführer erklärten, dass die saudische Initiative für eine Friedenslösung im Nahen Osten Basis der weiteren Verhandlungen sein solle. Die Initiative sieht den kompletten israelischen Abzug aus den Palästinensergebieten im Gegenzug für diplomatische Beziehungen mit den arabischen Staaten vor.

Die palästinensische Führung begrüßte das Ergebnis der Konferenz. „Unser Präsident (Jassir Arafat) hat schon vor dem Gipfel sehr klar gemacht, dass wir jeden Angriff im 67er-Gebiet (Israel) vor allem gegen Zivilisten ablehnen“, sagte der palästinensische Minister Saeb Erikat auf telefonische Anfrage. Dennoch sei es „sehr schwer“, grundlegende Regierungsentscheidungen zu treffen. Das palästinensische Kabinett habe sich zum letzten Mal vor zehn Tagen versammelt. „Die Israelis lassen die Minister aus Gaza und mich derzeit nicht nach Ramallah einreisen“, meinte Erikat.

Im Gaza-Streifen war am Morgen ein jüdischer Siedler von einem seiner palästinensischen Arbeiter ermordet worden. Israels Außenminister Schimon Peres drängte unterdessen auf eine schnelle Einberufung des geplanten Nahost-Gipfels. „Jeder Aufschub kann neuen Terror bedeuten“, meinte Peres und schlug vor, die Konferenz noch im Juni stattfinden zu lassen. Der Außenminister signalisierte, dass es „kein Problem“ für ihn sei, wenn Arafat die Palästinenser vertreten würde. Der Zentralrat des Likud kam am Nachmittag zusammen, um über einen Palästinenserstaat zu beraten. Vor dem Kabinett erklärte der Premier, dass es nicht um das Für und Wider eines palästinensischen Staates ginge, sondern „um Reformen und das Ende des Terrors“.

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