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Der Dialoganlasser stottert

Der Boom geht weiter: Matthias Hartmann inszeniert Jon Fosses Stück „Winter“ in Bochum – „Du / Du / Du / Du da“

Zweifellos sollte man die Unterschiede zwischen norwegischen und schwedischen Produkten nicht unterschätzen, und schon gar nicht jene zwischen der Theater- und der Möbelbranche. Dennoch: Das dramatische Werk des Jon Fosse hat einiges mit einem Ikea-Regal gemein. Auch den Erfolg. Seit Thomas Ostermeier vor zwei Jahren Fosses Stück „Der Name“ für die Salzburger Festspiele inszeniert hat, sind die Spielpläne ebenso oft mit den Texten des Norwegers möbliert wie WG-Zimmer mit Kiefernkonstruktionen.

Vor allem aber liegen Ähnlichkeiten in der Struktur. Regal wie Oeuvre zeichnen sich durch klare, reduzierte Formen aus. Ihre einzelnen Bestandteile lassen sich vielfach kombinieren oder gegeneinander austauschen. So kann man das Stück „Winter“, das Matthias Hartmann jetzt, kurz nach der deutschsprachigen Erstaufführung in Zürich, am Schauspielhaus Bochum inszeniert hat, als einen Vorbau zu Fosses Erstling verstehen: In „Winter“ kommen sich ein Mann und eine Frau näher, in „Da kommt noch wer“ bezieht ein Paar ein Haus auf dem Land. Wie so oft bei Fosse haben die Figuren weder Namen noch Biografien, aber die vier könnten durchaus nur zwei sein.

Gleichzeitig wirkt „Winter“ wie eine aufwändigere Ausführung des ersten Dialogs von „Traum im Herbst“, dem Stück, das die Schaubühne vergangenes Jahr importiert hat. Beide Male treffen dieselben Komponenten zusammen: ein verheirateter Mann, eine ungebundene Frau, eine Sitzbank und eine Sehnsucht nach Paarbildung. Von Fall zu Fall unterscheiden sich die Versuchsanordnungen nur in Details: dadurch dass die „Herbst“-Figuren seit langem miteinander bekannt sind oder dass die „Winter“-Frau anfangs einen Rausch hat.

Dafür sind Verwandtschaften zwischen den Fosse-Stücken gut: Sie lenken den Blick auf solche Unterschiede und ihre Auswirkungen. Besonders deutlich tritt etwa hervor, welche Folgen verschiedene Grade von Distanz für ein Gespräch haben. In „Traum im Herbst“ reicht eine überraschte Bemerkung – „Nein bist du das“ –, um den Kontakt herzustellen. In „Winter“ hingegen stottert der Dialoganlasser: „Du / Du / Du / Du / Du da“. Nur mit Penetranz kann die Frau, eine Prostituierte, über die Fremdheit der Figuren hinweg ein Gespräch in Gang bringen. „Winter“ enthält noch mehr vieldeutige Füllwörter und verendende Sätze als andere Fosse-Texte. In jeder zweiten Zeile steht ein „Ja“, „Du“ oder „Was“, das nach einer Auslegung verlangt. In Bochum führen Ernst Stötzner und Dörte Lyssewski vor, wie aus diesen Gesprächsstummeln Sinn entsteht. Sein „Ja“ klingt offen und arglos oder dehnt sich zu einer feindseligen Verzögerung. Ihr „Du“ ist mal eine rauchig hervorgestoßene Herausforderung, mal eine schwankende Verzweiflung.

Aber trotz der Klangkommunikation kämen der Mann und die Frau nicht zusammen, wäre da nicht jene zweite Abweichung zwischen „Winter“ und „Herbst“: Die Frau bleibt nur hartnäckig, weil sie nicht nüchtern ist. Wenn Dörte Lyssewski mit einknickenden Knöcheln heranschlurft, wenn sich ihr Gesicht renitent um die Augen herum zusammenballt, ist gleich offensichtlich: Im Augenblick ist der Frau der schöne Schein ganz schön egal. Deshalb kann sie den Mann erbarmungslos anreden. Und deshalb verfällt sie auf jene Formel, mit der sie die Einsamkeit durchbrechen will: „Ich bin deine Frau“, behauptet sie.

Das ist natürlich Unsinn, aber – auch das ein wiederkehrendes Motiv bei Fosse – ein einmal ausgesprochener Satz kann die Wirklichkeit hinter sich herschleifen. Der Mann gewöhnt sich an die Behauptung. Im zweiten Teil des Stücks – inzwischen hat er seinen Job und seine Ehefrau halb verloren, halb aufgegeben – hält er sich daran fest. In nüchternem Zustand versucht die Frau zwar, ihren Satz zurückzuziehen, kehrt aber bald darauf zu ihm zurück.

Am Schluss liegen der Mann und die Frau tatsächlich entspannt beieinander. Die fein abgestuften Zeichen der Unsicherheit, mit denen Stötzner und Lyssewski ihre Figuren ausgestattet haben, sind für den Moment von ihnen abgefallen. Die Sehnsucht und ein Satz haben über die Wahrscheinlichkeit gesiegt. Und wenn „Da kommt noch wer“ tatsächlich eine Verlängerung von „Winter“ wäre, hätten der Mann und die Frau sogar eine Zukunft.

Keine rosige, denn als Nächstes käme die Eifersucht, aber immerhin. MORTEN KANSTEINER

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