piwik no script img

Energiesparen als siamesischer Zwilling

Bundestagsausschuss behandelt Entwurf des neuen Energiewirtschaftsgesetzes. Experten sehen in diesem nur den Status quo der deutschen Energiewirtschaft zementiert. Wuppertal Institut warnt vor Ruhrgas/Eon-Fusion

BERLIN taz ■ Das soll der letzte große Wurf in dieser Legislatur werden: Vor dem Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Technologie wurde gestern der rot-grüne Regierungsentwurf zum neuen Energiewirtschaftsgesetz beraten. Derzeit regelt ein Gesetz aus dem Jahr 1935 die flächendeckende Versorgung von Strom und Gas. Belange des Umweltschutzes oder des Wettbewerbes spielen keine Rolle.

Grundlage des rot-grünen Entwurfes sind die so genannten Verbändevereinbarungen. In denen hat die Strom- und Gaswirtschaft Reglementarien aufgestellt, nach denen sie den Wettbewerb organisieren möchte. Die Spielregeln der Industrie sollen also vom deutschen Parlament „verrechtlicht“ werden – wie es im Beamtendeutsch heißt. Einmalig in Europa: In jedem anderen Land haben staatliche Regulierungsbehörden den Wettbewerb organisiert.

„Beim Energiewirtschaftsgesetz geht es der Politik darum, so kurz vor der Wahl kein innenpolitisches Fass mehr aufzumachen“, schätzt Kora Kristof, Leiterin des Bereiches Energie beim Wuppertal Institut (WI) ein. Deshalb sei der von Rot-Grün vorgelegte Entwurf auch so schlecht. Grundsätzlich sieht das WI zwei gravierende Fehler. „Erstens räumt die Selbstverpflichtung der Industrie der Energieeffizienz keinerlei Chancen ein“, so Energieexperte Manfred Fischedick. Das sei sowohl von den Selbstverpflichtern als auch von Bundeswirtschaftsminister Werner Müller so gewollt. Fischedick: „Energiekonzerne wollen Energie verkaufen, nicht einsparen, und die Nähe von Müller zur deutschen Energiewirtschaft ist ja bekannt.“

Der zweite Fehler: „Es wurde zu wenig beachtet, dass Wettbewerb erst durch Regulierung funktioniert“, sagt WI-Präsident Peter Hennicke. Natürlich hätte die Industrie nichts in ihre Selbstverpflichtung geschrieben, was ihre Marktstellung in irgendeiner Form schwächt. Bei der Strommarktliberalisierung sei ursprünglich eine Anbietervielfalt mit fairen Zugangsbedingungen das Ziel gewesen. „Das Gegenteil ist aber eingetreten. Es hat starke Konzentrationsprozesse gegeben, und von fairen Bedingungen kann nicht die Rede sein“, so Hennicke.

Auf dem Gasmarkt droht nun dasselbe – das WI rechnet fest mit einer Erlaubnis des Bundeswirtschaftsministers für Eon zur Übernahme von Ruhrgas. Im Auftrag der Monopolkommission des Bundeskartellamtes hat das WI diese Übernahme analysiert. Fazit des gestern vorgestellten Berichtes: Die Übernahme wird ungünstige Bezugskonditionen für Wettbewerber mit sich bringen und die dezentralen Strukturen schlechter stellen.

Überhaupt, der Wirtschaftsminister. Das WI hat sich den viel diskutierten Energiebericht von Werner Müller vorgenommen – oder korrekter: ihn auseinander genommen: falsche Annahmen, falsche Kostenberechnung, falsche Schwerpunkte. Unter der Überschrift „Da ist noch viel mehr drin, Herr Minister“, wirft das Institut Müller eine „sehr eingeschränkte Sichtweise“ vor. Vor allem der Energieeinsparung werde zu wenig Bedeutung beigemessen. „Dabei ist Energieeffizienz der siamesische Zwilling von erneuerbaren Energien“, wie Institutsleiter Hennicke formulierte. Will Deutschland sein Klimaziel schaffen, müsse die nächste Regierung daher Energieeinsparung in den Mittelpunkt ihrer Energiepolitik stellen. Entsprechende Signale gebe es sowohl bei der SPD als auch bei der CDU (siehe taz vom 11./12. 5. 2002).

Das Energiewirtschaftsgesetz als letzter großer Wurf von Rot-Grün? „Schon in der nächsten Legislatur wird es Änderungen am jetzigen Entwurf geben“, schätzt Kora Kristof. Schließlich würden die „verrechtlichten“ Verbändevereinbarungen nur den Status quo zementieren. NICK REIMER

Ruhrgas-Kauf: www.wupperinst.org/download/Kurzanalyse-Monopolkomm.pdf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen