: Naturkunde für Großstädter
Landschaft mit Philosophen: In „Uckermark“ begegnet der Regisseur Thomas Knoepp stillen Bauern, heimgekehrtem Adel, Theaterregisseuren und Kühen. Maschinen werden fürs Museum repariert, Lustiges liegt lang zurück
Die „Uckermark“ beginnt am Bahnhof. Eine junge Dame legt den Weichenhebel um, Herr von Arnim übernimmt die Moderation, verfällt aber schnell in einen Monolog. Wörter wie „Preußen“, „Pommern“ oder „Reichsbahn“ gehen ihm mühelos über die Lippen. Der rüstige 84-jährige Vereinsmeier legt Wert auf Engagement – Greenpeace, Robin Wood und wie sie alle heißen –, seine Leidenschaft aber gilt dem Erhalt der alten Bahnstrecke. Die Sache mit den Busanschlüssen, daran hapert’s noch und schon dröselt er minutiös die Nachlässigkeiten auf. „Das Netz, das muss funktionieren. Anschluss muss sein.“
Die junge Bahnhofswärterin steht währenddessen daneben und scheint sich vor der Kamera nicht so recht zu Hause zu fühlen. Aber der Regisseur Thomas Koepp lässt sie nicht allein. Bevor er die Szene auflöst, wundert sich die Stimme hinter der Kamera mit ihr. „Was man alles so machen kann, ne?“
Durch die Augen des frisch verheirateten Rentners scheint die Uckermark wie ein Abenteuerspielplatz. Dass hier kaum jemand Arbeit hat, die meisten hoffnungslos in die Zukunft schauen, passt nicht in sein Bild von Ärmelhochkrempeln und Eigeninitiative. Junge Menschen sieht man in „Uckermark“ eigentlich kaum; zwei, um genau zu sein. Eine patente Schwiegertochter und ein verschlufft-idealistischer Zivildienstleistender.
Manchmal wirkt dieser Landstrich auch wie ein riesiges Freilichtmuseum für Großstädter. Die Kamera sucht im 180-Grad-Schwenk wiederholt den Horziont ab. Nichts als Felder, Getreide, Bäume, Kühe. „Der größte Landkreis Deutschlands ist die am dünnsten besiedelte Gegend dieses Landes.“ Graf Hahn legt dar, dass man nur noch einen einzigen Mann brauche, um „zweihundert Hektar landwirtschaftlich zu bestellen“. Man sieht Arbeiter, wie sie Maschinen fürs Museum reparieren, Arbeiterinnen, eine ist gelernte Betonwerkerin, wie sie Felder nach archäologischen Relikten absuchen. Strukturanpassungsmaßnahmen nennt man diese Form der Beschäftigungstherapie. Aber alles ist besser, als sich zu Hause die Decke auf den Kopf fallen zu lassen.
Erfüllt von einem Zuviel an Arbeit ist allein der heimgekehrte Adel. Familie Hahn hat sich nach der Wende an ihr leicht verranztes Schloss erinnert und das Bewusstsein von „Diese Erde ist mein“ scheint maßlos Energien freizusetzen.
Thomas Koepp arbeitet gern mit Paaren. Jemanden mit ins Bild zu nehmen, der weniger eloquent sein Tun und Denken zur Schau stellt, der allein durch seine Art des Zuhörens kommentiert, heißt auch, das Reden selbst zu relativieren. Manchmal widerspricht auch einer oder runzelt die Stirn oder will raus aus dem Bild.
Allein der Theaterregisseur Fritz Marquardt bleibt ein Einzelgänger. Die Gegend hier kenne er, weil man „damals“, in der DDR, die jungen Philosophiestudenten aufs Land geschickt habe. Fritz Marquardt spricht, als hätte er schon lang nicht mehr so viel am Stück geredet. „Der Kommunismus“, resümiert Marquardt, sei „eine sehr bequeme Religion für Intellektuelle“. Und wie zum Beweis sitzen zwei verstockte Bauern, auch so ein Paar, mit ihren Strohhüten vor einem Hof. Den beiden muss Koepp jeden Satz aus der Nase ziehen. Wenn sie dann doch mal mit der Sprache rausrücken, deuten sie Geschichten an, wie sich manch ein Großbauer einen Strick nahm, nach der Enteignung, „damals“, und wie viele nach Kanada ausgewandert seien. Aber da soll ja auch nicht alles so toll sein. „Gibt es denn nichts Lustiges?“, fragt eine Stimme aus dem Off. In den 50ern, da sei’s lustig gewesen, da hätte man Feste gefeiert. Aber heute? ANETT BUSCH
„Uckermark“. Regie: Thomas Koepp. Kamera: Thomas Plenert. D 2002, 105 Min, Edition Salzgeber. Kinostart im Filmtheater Hackesche Höfe und in der Filmbühne am Steinplatz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen