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Vom Fahrtwind des Denkens

Wenn Alzheimer die Liebe zur Sprache durchkreuzt: Der Film „Iris“ erzählt das Leben der Autorin Iris Murdoch

Die Filmsprache der Liebe, ach, basiert ja bei Licht besehen aus wenigen Grundelementen. Gern genommen werden etwa Bilder vom zweisamen Baden in Flüssen, Seen oder im Meer. Auch das gemeinsame Fahrradfahren in bewaldeter Natur findet immer wieder Anklang, da wirbelt der Fahrtwind die Gefühle mächtig auf. Beide Motive kann man in dem Film „Iris“ ausgiebig bewundern, und das mag auf den ersten Blick schrecklich kitschig wirken. Aber es macht darüber hinaus auch Sinn. Sobald man auf die Figurenebene achtet, geht einem auf, dass es hier um mehr geht als um die Bebilderung gefühliger Zweisamkeit.

Schließlich handelt der Film von Iris Murdoch, der Schriftstellerin und Philosophin, Autorin einer beinahe erschreckend großen Anzahl von Romanen und theoretischen Untersuchungen. Die Schwimm- und Radszenen betonen Aspekte, die bei so einer Figur einer weiblichen Intellektuellen sonst eher im Hintergrund bleiben. Sie vermitteln etwas Ganzheitliches, die Verbindung von Sinnlichkeit und Intellekt, ein unproblematisches Verhältnis von Körper und Denken. Als wäre, sagen wir, Ingeborg Bachmann nebenbei durch ein geschicktes Forechecking beim Frauenfußball aufgefallen (nicht dass die beiden Damen etwas miteinander zu tun hätten).

Ob das gezeichnete Bild die reale Iris Murdoch trifft oder nicht, mögen die Fachleute für diese hierzulande immer noch zu entdeckende Autorin beurteilen. Oder John Bayley, der langjährige Ehemann, soll es tun, nach seinem schönen Liebes- und Lebensbericht „Elegie für Iris“ ist das Drehbuch entstanden. Der Regisseur Richard Eyre jedenfalls hat einen Film über ein Rollenmodell gedreht, das im England der Fünfzigerjahre sowieso, aber auch noch heute bis zu einem gewissen Punkt wie eine Märchenfigur wirkt: „Iris“ handelt von dem Prototyp einer sinnlichen, emanzipierten, eigenen, klugen, geistesgegenwärtigen, gefühlsstarken, vielleicht nicht schönen, aber attraktiven und in sexuellen Dingen ebenso pragmatischen wie zupackenden Frau. Ein Wesen, bei dem Handeln, Denken, Sprechen und Fühlen in eins fallen.

Wunderbare Iris. John Bayley hat seine Erinnerungen an sein Leben mit der realen Iris Murdoch nach ihrem Tod mit dem nachhallenden Blick der Liebe geschrieben (der dennoch alle Schwächen der geliebten Person registriert). Richard Eyre hat diesen Blick in eine rein bewundernde Filmhaltung übersetzt. Klar, hier waltet Naivität dem Gegenstand gegenüber. Aber zum Glück wird die junge Iris Mudoch von Kate Winslet gespielt, die ihr immer auch etwas Bodenständiges mitgibt. Sonst wäre dem Film ein Überhandnehmen von Seligsprechungsmomenten durchaus zu attestieren gewesen. Auch mit Kate Winslet und trotz Judi Dench als älterer Iris Murdoch sind solche Momente vorhanden. Der Versuchung, distanzierende Momente einzubauen und der Faszination seiner Hauptfigur wirklich auf die Schliche zu kommen, ist Richard Eyre jedenfalls nicht erlegen.

Aber natürlich geht es in den Szenen, in denen Iris Murdoch mehr gefeiert als geschildert wird – wobei ihr Mann John Bayley als wichtigste einer ganzen Reihe von Spiegelfiguren funktioniert –, auch um Filmdramaturgie, nämlich darum, eine Höhe zu gewinnen, von der aus der folgende Absturz berührende Züge annimmt. Dass ausgerechnet so einer Person, der Exaktheit im Denken, Sprechen und Fühlen über alles ging, eine Alzheimer-Erkrankung neben dem Gedächtnis auch die Fähigkeit zum sinnvollen Gebrauch der Sprache nimmt, erscheint dann besonders tragisch. Statt über die Verbindungen von der Freiheit, dem Guten und der Liebe nachzudenken, verbringt Iris Murdoch schließlich ihre Zeit damit, sich die Teletubbies im Fernsehen anzusehen – und der Film macht keinen Hehl daraus, dass dieser Weg als Abstieg gemeint ist.

Diese Fallhöhe ist es letztlich auch, die diesen Film stark belastet. Denn er muss nicht allein die Faszination der Figur Iris Murdoch beglaubigen. Zudem muss er noch die Unwahrscheinlichkeit einer jahrzehntelang glückenden Liebesgeschichte und Intellektuellenpartnerschaft mit John Bayley nachvollziehbar machen. Wobei Hugh Bonneville als junger Universitätslehrer und unerfahrener Liebhaber große Klasse ist, in den Kennenlernszenen in Oxford kann der Film die Vorteile einer räumlich begrenzten Campus-Novel-Handlung ausspielen. Jim Broadbent als liebenswürdig kauziger alter Ehemann steht ihm in nichts nach.

Drittens aber nimmt es der Film noch auf sich, Ausbruch und Verlauf der Krankheit zu schildern, und das gelingt vollends nur um den Preis, das Leben und Denken seines Personals in die Abfolge eines szenischen Bilderbogens zu pressen. Mag sein, dass Eyre in manchen Szenen Iris Murdoch ins Überlebensgroße zieht. Den Schritt, den Film wirklich von dem Facettenreichtum seiner Hauptfigur sprengen zu lassen, vollzieht er nicht. Ob man das Glas halb voll oder halb leer sieht, hängt wohl schlicht davon ab, wie sehr man an der realen Iris Murdoch interessiert ist.

Eins noch, der Soundtrack ist wirklich leer. „Iris“ hat eine kitschige Filmmusik, die man, wenn das ginge, einfach erschießen sollte. DIRK KNIPPHALS

„Iris“. Regie: Richard Eyre. Mit Kate Winslet, Judy Dench, u. a. Großbritannien 2001, 95. Min.

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