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Krasse Kunst im Sozialbau

Schockierend, kontrastreich und enorm vergänglich: Drei Künstlerinnen verwandeln eine Sanierungswohnung für zwei Monate in einen Ereignisraum aus sanften Bildern, zerfetzten Vaginen und der alles abstumpfenden Farbe Blau

von KATRIN JÄGER

„Das ist krass“, entfährt es einer Wohnungsbesucherin, als sie das Kinderzimmer betritt. An der Wand prangen drei kopfgroße, verstümmelte Vaginen, jede in einer anderen Phase der Beschneidung: zerfetzte Schamlippe, blutunterlaufener, mit Paketband zugeschnürter Spalt, dann die fast verschlossene, leblose Narbe.

After the cut hat die Künstlerin Dany Apelt ihre Installation genannt. Den Vaginen gegenüber hängt das Foto eines friedlich schlafenden Kindes. Dany Apelt selbst, vor etwa dreißig Jahren. Ein fast unaushaltbarer Gegensatz auf kleinstem Raum. Die Tatsache, dass sie in einer Wohnung und nicht in einer Galerie ausstellt, verschärft die Aussage ihrer Objekte. Denn Beschneidung findet in Privaträumen statt, in Kinderzimmern, in Elternhäusern.

Auch das Wohnzimmer lädt nicht zum entspannten Verweilen ein. Obwohl sich die BesucherIn sogar setzen dürfte. Den Sessel, den Beistellstisch, sogar die Teetasse hat die Raumgestalterin Margitta Rosenau in Ultramarinblau getaucht. Hart und verkrustet fühlen sich die Gegenstände an. Stumpf geworden. „Für mich hat jetzt die blaue Zeit begonnen“, erläutert die Künstlerin. Vor zwei Jahren hatte sie dasselbe Mobiliar in Magenta gestrichen. Nicht aus telefonpolitischen Gründen. Sondern einfach, weil die Farbe sie ansprang. Ihr Magentazimmer hatte sie sich im Herbst 2000 in der Ausstellungswohnung in der Glashüttenstraße eingerichtet. Dort – wie auch jetzt in der Marktstraße – hatte sie mit anderen Künstlerinnen eine leer stehende Sanierungswohnung im Karolinenviertel für zwei Monate von der Wohnungsgenossenschaft Steg gemietet und in einen Kunstraum verwandelt.

Die Wohnungsgenossenschaft hat sich inzwischen daran gewöhnt, dass die Künstlerinnen ihre Wohnungen nutzen. „Wir haben diese Möglichkeit. Warum sollte dort also nichts stattfinden?“, erklärt Steg-Mitarbeiterin Marlis Thomson. Nur die Betriebskosten müssen die „renovierten Künstlerinnen“ Dany Apelt, Margitta Rosenau und die Fotografin Heike Günther zahlen. Und im Juli raus sein. Denn dann beginnt die Sanierung. Anschließend steht die Wohnung wieder dem sozialen Wohnungsmarkt zur Verfügung. „Das ist völlig in Ordnung“, findet Margitta Rosenau. „Vor zwölf Jahren wäre diese Aktion nicht möglich gewesen“, erinnert sie sich. „Da hätten die Wohnungsgesellschaften Angst gehabt, dass wir die Wohnung besetzen, womöglich das ganze Haus.“

Die Künstlerin weiß, wovon sie redet. Denn sie gehört zu den Frauen, die 1989 die „Villa Magdalena“ gegründet haben. Die Künstlerinnen besetzten damals ein leer stehendes Haus in der Bernstorffstraße mit der Idee, dort zu wohnen und zu arbeiten. Nach Vorlage eines schlüssigen Konzepts hat die Stadt das Projekt schließlich anerkannt und bezuschusst. „Durch die Villa habe ich gelernt, wie Projektarbeit funktioniert“, erinnert sich Margitta Rosenau, „das kommt mir jetzt zugute. Wohnraum als Entwicklungsraum, das hat auch eine politische Dimension. Sich einfach einen Raum zu nehmen, und darin zu machen, was man will.“

Heike Günther hat schon in der Villa Magdalena „den Schornstein weggeklopft“ und war auch in der Glashüttenstraße dabei. Sie hatte sich überlegt, während der Ausstellungszeit in der Sanierungswohnung zu übernachten, „damit das auch wirklich mein Wohnraum wird“. Davon sieht sie nun doch ab. Bislang waren die Nächte zu kalt, die Wohnung zu nackt. Ihr Ziel: während der beiden Ausstellungsmonate nach Spuren von VormieterInnen zu suchen. In ihrem Raum hat sie deshalb zuerst die Tapete abgerissen. Darunter entdeckte sie einen ockerfarbenen Anstrich mit dem blassroten Muster einer Tapetenrolle aus den vierziger Jahren. „Der Kontakt zu diesen bedrohlichen Wänden“ habe ihre ursprüngliche Idee, Tierpräparate auf Chinafähnchen aufzuziehen, vollständig umgehauen. „Nun ist etwas entstanden, was nur schön ist“. Das stimmt. Der lichtdurchflutete Raum voller naturweißer Seidenstoffbahnen belohnt die BesucherIn nach vorangegangenen Schocks schließlich doch noch mit einer PriseGeborgenheit. Entspannend, aber letztlich zu brav.

Wohnraum als Kunstraum der “renovierten Künstlerinnen“ in der Sanierungswohnung Marktstraße 114, Hochpaterre rechts, zu besichtigen jeden Sonnabend 12.–20 Uhr; bis 29. Juni

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