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Kampf dem Imperium

Attac Berlin mobilisiert gegen Bush. Die Globalisierungkritiker haben in der Hauptstadt so viel Zulauf, dass sie sich eine neue Struktur geben. Manchmal fühlen sie sich von den Medien auch überschätzt

von ANTJE LANG-LENDORFF

Zuweilen ist es sinnvoll, wenn Gut und Böse einfach zu unterscheiden sind. Das ist aber auch der einzige Punkt, in dem Tobias Reinsch von der Berliner Attac-Jugendgruppe mit George W. Bush einer Meinung ist. „Wir sind die Jedi-Ritter, die gegen das amerikanische Imperium kämpfen“ – dieses Motto schlägt er für eine Straßentheateraktion bei dem Projekttreffen vor, das die Großdemonstration während des Besuchs des US-Präsidenten vorbereitet.

Das globalisierungskritische Netzwerk will polarisieren und spitzt seine Nachricht deswegen zu: Bush ist der „Gauner Nummer eins“, wegen seiner Klimapolitik, den Drohungen gegen den Irak und der Ablehnung eines Internationalen Gerichtshofes. Unter anderem.

Eine Woche vor dem Besuch des Präsidenten läuft die Mobilisierung der Berliner „Attacies“ erst langsam an. Mit über 700 Mitgliedern ist die Regionalgruppe in der Hauptstadt die größte in ganz Deutschland. Zum Projekttreffen kommen gerade mal zehn Personen. Die lassen sich jedoch nicht entmutigen. „Ich plakatiere den Bezirk Weißensee“, verkündet der pensionierte evangelische Pfarrer Willibald Jacob, der von 1994 bis 1998 für die PDS im Bundestag saß, voller Tatendrang. „Wir müssen die ganze Stadt zupflastern mit Plakaten“, ereifert sich Wirtschaftslehrer Peter Strotmann. „Das haben wir beim Vietnamkongress 68 auch so gemacht.“

Die Altersspanne in der Vorbereitungsgruppe reicht von 15 bis 70 Jahren. Im Gegensatz zu den 68ern ist Attac keine Generationserscheinung. Zwar überwiegen die 20- bis 30-Jährigen. Seit der Gründung der Berliner Regionalgruppe im Februar 2000 wurde Attac Berlin jedoch zum Sammelbecken von heimatlosen Linken jeden Alters. Enttäuschte Grüne, alte Friedensbewegte, junge Marxisten und kritische Wirtschaftsstudenten fanden sich zusammen, um ihr Unbehagen über die Globalisierung gemeinsam zu artikulieren.

Nach den Protesten beim G-8-Gipfel in Genua im Juli 2001 stieg die Mitgliederzahl der Berliner Gruppe sprunghaft von unter 100 auf 230 an. Die offenen Strukturen machen es Neuankömmlingen leicht: Jeder bringt so viel Engagement und Geld ein, wie er will. Wer meint, ein Thema werde vernachlässigt, gründet einfach eine neue Arbeitsgruppe. Inzwischen gibt es AGs nicht nur zu Globalisierung, sondern auch zu Demokratieabbau, Europa und Ökologisierung.

Der Berliner Attac-Kongress im Oktober brachte eine weitere Welle von 300 Beitritten. An allen drei Hochschulen gibt es inzwischen Attac-Gruppen, im Prenzlauer Berg gründete sich im Frühjahr die erste Jugendgruppe. „Bundesweit haben wir mit über 6.000 Attacies die DKP überholt“, freut sich Gründungsmitglied Lena Bröckl.

Attac trifft offenbar den Nerv der Zeit. „Wir füllen ein gesellschaftliches Vakuum. Wir tun etwas gegen das Ohnmachtsgefühl der Leute“ beschreibt Lena Bröckl das Erfolgsrezept des Netzwerkes. Attac hätte außerdem konkrete Lösungsvorschläge zu bieten wie beispielsweise die Tobin-Steuer zur Regulierung der Finanzmärkte. Das sei wichtig, um die Menschen zu begeistern.

Alle erreicht Attac Berlin noch nicht. Die Mitglieder haben zum überwiegenden Teil eine akademische Ausbildung. Kein Wunder: Die ökonomische Globalisierung, die sie sich zum Anliegen gemacht haben, ist hoch komplex. Die Attacies beschäftigen sich daher zuerst selbst mit einem Thema und lesen zum Beispiel in den Arbeitsgruppen wissenschaftliche Texte. Erst im Anschluss gehen sie mit Aufklärungsaktionen an die Öffentlichkeit. Inzwischen werden sie häufig von Schülern, Parteien oder Künstlergruppen zu Vorträgen eingeladen. „Ein halbes Dutzend Anfragen pro Woche ist normal“, schätzt Bröckl. Um auch andere Schichten zu erreichen, soll die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften künftig vertieft werden.

Die Berliner Attacies sind inzwischen so viele, dass die Arbeit der einzelnen AGs koordiniert werden muss. Am Dienstag beschloss die Regionalgruppe daher eine neue Struktur und wählte sieben Mitglieder in eine Vorbereitungsgruppe, die Ansprechpartner ist, Aktionen abstimmen und auf ein einheitliches Profil achten soll. Seit Monaten hatten die Attacies über diesen Schritt heftig diskutiert. Viele befürchteten Machtspielchen und zu viel Bürokratie, wenn nicht mehr alles von der Basis geregelt wird.

In der Vorbereitungsgruppe sind verschiedene Strömungen vertreten. Sowohl Lena Bröckl, wissenschaftliche Mitarbeiterin eines SPD-Bundestagsabgeordneten als auch ein Linksruck-Aktivist wurden gewählt. Ein Volkswirtschaftsstudent sitzt im Gremium neben dem vom Klassenkampf bewegten Peter Strothmann. Bisher gelang es Attac, die Balance zwischen den einzelnen Richtungen zu halten. In der Hochschulgruppe der Humboldt-Uni ist die Linksruck-Fraktion zwar sehr stark vertreten. Unterwandert wurde Attac aber bisher von keiner Organisation.

In der Öffentlichkeit wird Attac oft als Dachverband der Globalisierungskritiker wahrgenommen, obwohl sich die Attacies nur als ein Netzwerk in der Bewegung verstehen. „Manchmal fühlen wir uns mit der Rolle, die die Medien uns zuschreiben, überschätzt“, räumt Sascha Kimpel aus der Vorbereitungsgruppe ein. Und fügt schnell hinzu: „Aber wir haben ja auch was zu sagen.“ Wie bei der Großdemonstration gegen Bush in der nächsten Woche, wenn sie sich der Achse des Friedens anschließen, um gegen die Achse des Bösen zu protestieren.

Weitere Infos: www.attac-berlin.de

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