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Kinder wollen Spuren hinterlassen

In der Schule lernen, aber auch mal richtig dreckig werden, sich im Sand wälzen, mit Matsch bewerfen, mal toben und rennen – Kinderträume. In Hamburg unmöglich? Nein, denn das„Hamburger Forum Spielräume“ macht diese Träume wahr

von PEGGY WOLF

Lisa, Sari, Michelle, Rieke, Ebru und Marie sind glücklich. Sie gehen in die vierte Klasse der Theodor-Haubach-Schule in Altona-Nord. Die 10-Jährigen haben gleich Pause – große Pause. Und das heißt: Raus auf den Schulhof, toben, rennen, kreischen, im Sand spielen, eine halbe Stunde lang. Die Mädchen mögen die bunte Kletterschaukel am liebsten, die Jungen spielen auf einem der drei Plätze lieber Fußball. Das konnten sie nicht immer – erst seit einem Jahr, denn die Theodor-Haubach-Schule ist eine der 40 Hamburger Schulen, die mit der Beratung des Vereins „Hamburger Forum Spielräume e.V.“ im Rahmen eines ausgeklügelten Projektes der Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft (STEG) sowie der Schulbehörde ihre Schule komplett neu gestaltet hat: Zum einen nach den Vorstellungen und Wünschen der Kinder, zum anderen nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das Ergebnis: Mehr Platz für den Freiheits- und Bewegungsdrang der Kinder und Jugendlichen.

Die Haubach-Schule gibt es seit fast einhundert Jahren. Sie liegt mitten in einem Wohnviertel. Der Schulhof war trist und nicht besonders groß – ein übliches Problem an Schulen dieses Alters. Und dieser Bauart: zwei Gebäudeteile, ein alter mit unter anderem 12 Klassenzimmern, jedes 57 Quadratmeter groß, und ein neuer Komplex für neun Klassenräume mit jeweils 65 Quadratmetern. Alle Räume sind für durchschnittlich 27 Schüler ausgelegt. „Die Schule ist eine integrierte Grund-, Haupt- und Real- und offene Ganztagsschule für die 5. bis 10. Klasse“, erklärt Schulleiter Jan Behrend. „Das Neue ist, dass wir bei der Umgestaltung darauf geachtet haben, den wenigen Platz um das Gebäude herum für alle Bewegungsbedürfnisse sinnvoll und dem Alter entsprechend zu nutzen. “

„Bewegung, auch auf kleinstem Raum, ist für Kinder das Wichtigste überhaupt, denn es bedeutet Freiheit. Wachsen Kinder ‚bewegungslos‘ in zu engen Räumen auf, ruft das Ängste hervor, die bis ins Erwachsenenalter bestehen bleiben können.“ Der das sagt, ist nicht etwa Psychologe, sondern Knut Dietrich, Vorsitzender des Vereins „Hamburger Forum Spielräume“, der vor vier Jahren gegründet wurde. „Eher eine Notgeburt, weil wir eine Rechtsform für unsere Arbeit brauchten“, erklärt der emeritierte Professor, Sportwissenschaftler und Sportpädagoge der Universtität Hamburg. Im Rahmen seiner Lehrtätigkeit beschäftigte er sich hauptsächlich mit dem Thema Bewegung und rief die „Initiative Forschungsbereich Bewegungsraum Stadt“ ins Leben.

Damit wurde der Grundstein für die Arbeit des heutigen Vereins gelegt. „Wir versuchen Projekte zu machen, die Kindern dabei helfen, ihren Lebensraum so zu gestalten, dass sie sich dort wohlfühlen“, sagt Dietrich. „Leider werden die Kinder heutzutage ja schon fast zur Bewegungslosigkeit erzogen. Schade, denn Kinder wollen das, sie wollen Spuren hinterlassen, ihren Raum um sich herum erobern, und sie wollen an Veränderungen ihrer Umwelt beteiligt werden.“ Diesen Bedürfnissen zufolge wurden in der praktischen Arbeit der Studenten Verfahren entwickelt, um herauszufinden, was sich Kinder in einer Großstadt wie Hamburg wünschen: bewegungsgerechte Einrichtungen. Danach wurden Projekte ins Leben gerufen, die eben das umsetzen.

Eines dieser Projekte ist „Schulen in Bewegung“, und deshalb können Lisa, Sari, Michelle, Rieke, Ebru, Marie und die weiteren 454 Schüler der Theodor-Haubach-Schule nach Herzenslust jung, wild und frei sein. Auch, wenn mal die Klamotten so richtig eingedreckt werden. Rieke fällt dazu aber nichts Negatives ein, sie meint nur: „Meine Mutter freut sich eher, dass ich schön schmutzig geworden bin. Dann weiß sie: Ich hatte einen tollen Spaß.“

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