piwik no script img

Jupiters Himmelfahrt

An den Haaren gezogen, durch die Gegend geworfen, unsicher umhergetappt: In Jürgen Goschs „Amphitryon“-Inszenierung am Schauspielhaus bleibt Alkmene – fast – Dauerdummchen

von PETRA SCHELLEN

Menschlein rennt auf großer Kugel Erde. Rennt im Kreis um Haus und Wolke herum. Natürlich keine echten: Abstrakte, fast surreale Zeichen hat Jürgen Gosch ins Zentrum seiner Inszenierung von Kleists Amphitryon gestellt, das am Sonnabend im Schauspielhaus Premiere hatte. Der Regisseur ist das Stück damit sozusagen basis-semiotisch angegangen: Haus und Wolke zählen zu den ersten Dingen, die Kind und „staunender“ Erkenntnisphilosoph zur Kenntnis nehmen. Bilder sind es, die – Himmel und Erde symbolisierend – für Koordinaten menschlicher Selbstdefinition stehen: Zwischen diesen beiden kann man sich verorten, sich seiner Existenz vergewissern, wenn alles andere schwankt.

Allerdings sind sie bei Jürgen Gosch nicht konstant, sondern bewegen sich als Fata Morgana mit dem Rennenden und entziehen sich ihm. Dabei müsste er, der Diener Sosias (teils schwer verständlich: Samuel Finzi), längst am Ziel sein. Doch er schafft es nur mühsam, die Nacht zu durchqueren, ihren Rhythmus zu begreifen und einzuholen. Wer dahinter steckt? Der göttliche Merkur höchstselbst. Er hat die Nacht verlängert und den Weg gedehnt.

Ein Einstiegsbild, das ein Schlaglicht wirft auf die folgenden Versuche des Amphitryon-Personals, durch angestrengte Bemühung das Unbegreifliche zu verstehen: warum ihnen Doppelgänger erscheinen. Die Lösung: Die Götter sind‘s, die auf der Erde Gefühle klauen. Jupiter wollte halt gern eine Nacht mit Alkmene, der Frau des – noch – abwesenden Feldherrn Amphitryon (solid-irr: Devid Striesow) verbringen und hat daher dessen Gestalt angenommen. Und Merkur (schön brutal: Jörg Ratjen) – nebenbei Charis (erstklassig Hex‘ und Vamp: Sabine Wegner), Sosias‘ Frau, vergrätzend – sollte Sosias als dessen Doppelgänger hindern, den göttlichen Beischlaf zu stören.

Und so könnte die Nacht Jupiters (gelungen machohaft: Oliver Masucci) mit Alkmene kurze Episode bleiben, fiele den Gott nicht plötzlich der Wahn an, von Alkmene als Person geliebt werden zu wollen. „Und wenn ich dir nun ein Gott wäre“, sagt er und verlangt, sie solle unterscheiden zwischen Geliebtem und Ehemann. Eine Forderung, auf die Alkmene (expressiv-tragödienhaft: Christiane von Poelnitz) mit Unverständnis reagiert: „Was soll man dazu sagen“, murmelt sie nur. Eine sehr zeitgemäße Antwort, muss sie solche Sprüche doch zwangsläufig für betrunkenes, allenfalls machohaft-egomanisches Geschwätz ihres „Göttergatten“ halten, über das frau am besten besänftigend hinweggeht. Und obwohl Alkmene in früheren Deutungen meist als Dummchen verkauft wird, das nicht begreift, dass Jupiter mit ihr schlief, ist diese pragmatisch-vage Reaktion ihre einzige Identität wahrende Handlung in Goschs Inszenierung.

Ein Ansatz, den die Regie allerdings nicht durchhält: Das restliche Stück hindurch muss Alkmene das von Jupiter an den Haaren gezerrte Puppchen spielen, das an den eigenen Gefühlen zweifelt. Und droben schwebt die Mobilé-Achse dessen, der Haus, Wolke und Zeit aus der Bahn werfen kann. Wer manipuliert wen, lautet eine zentrale Frage des Stücks – und definiert sich Identität wirklich nur über die Anerkennung durch andere? Birgt zudem jeder die berühmte „Schattenseite“, im Amphitryon durch die Doppelgänger vorgeführt?

Fragen, die letztlich im Kontext des – zum Glück nicht klamottig inszenierten – Stücks bleiben. Das eigentlich Problematische an Kleists Drama – die theologische Dimension, die Durchdringung von Mensch und Gott – löst Gosch allerdings nicht. Dabei ist dies ein Thema, dem sich stellen muss, wer den Text ungekürzt deklamieren lässt. Und letztlich stellt sich an diesem Punkt auch die Frage nach der Aktualisierbarkeit des Stücks in eine areligiöse Zeit hinein.

Doch Gosch liefert hierfür kein Deutungsangebot, sondern zieht sich mit einer effektvollen „Himmelfahrt“ Jupiters per Schaukel aus der Affäre. Die Menschen bleiben zurück. Ehrfürchtig zu Boden geworfen. Und danken den Göttern für ihr Spiel.

nächste Vorstellung: 25. Mai, 18 Uhr, Schauspielhaus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen