: berliner szenen Zu Haus beim Karneval
Multimultikulti
Es war ein schrecklicher Tag, dieser Pfingstsonntag. Regen, Regen und nochmals Regen. Ein Tag, um endlich Chateaubriands „Erinnerungen von jenseits des Grabes“ zu lesen. Oder Lucky-Luke-Hefte. Oder um sich mal wieder ohne Gewissensbisse durch die Kanäle zu zappen. Klar, dass man dann beim SFB hängen blieb und bei dessen stundenlanger Übertragung vom Karneval der Kulturen. Brauchte man also gar nicht hin, um sich schlecht zu fühlen, man hatte ja alles im Fernsehen! Was für eine Überraschung aber, dass wieder so viele da waren. Bei dem Wetter! Was ein echter Kreuzberger ist, der lässt sich auch durch Dauerregen nicht davon abhalten, sein multikulturelles Bewusstsein zu demonstrieren und seinen Caipi zu trinken.
Ebenfalls eine Überraschung, jede Love Parade und jeden Karneval der Kulturen wieder: Wie es der SFB und vor allem sein Moderator Volker Wiebrecht schaffen, die richtige Mulitkultilaune zu vermitteln. Es passiert ja nichts, außer dass ein geschmückter Wagen mit tanzenden Menschen drauf nach dem anderen vorbeifährt. Wiebrecht redet angenehmerweise gar nicht so viel. Er weiß, dass es nicht viel zum Karneval der Kulturen zu sagen gibt. Außerdem versuchen das schon die anderen, die der Sender vor die Kamera bittet. Klaus Wowereit natürlich, der diesen Umzug ganz toll und international und multikulturell und wichtig für Berlin findet. Oder der Botschafter von Ecuador, der den Umzug ganz toll und international und multikulturell findet. Oder natürlich auch Cem Özdemir, der den Umzug ganz toll und international und multikulturell und wichtig für Berlin findet. Blöd nur, dass man am Fernseher irgendwann den Umzug nicht mehr sieht vor lauter Beschwörung von Internationalität und Multikulti. GERRIT BARTELS
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