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Bernhard Pötter über Kinder Wahlkampf um die Kindsköpfe

Politiker kümmern sich nicht um Kinder. Deshalb soll der Nachwuchs das Wahlrecht bekommen. Das aber geht schief

Das Holzschwert senkt sich bedrohlich auf meine Brust. „Papa, geh schlafen!“

Ich? Du bist dran. Los, zieh dir den Schlafanzug an und ab ins Bett.“

„Nein. Du gehst schlafen!“, ruft Jonas. „Du musst machen, was ich sage. Ich bin der Oberchef!“

Ein Putsch. In meinen eigenen vier Wänden muss ich von einem dreijährigen Usurpator meine Befehlsgewalt anzweifeln lassen. Von einem Aufsteiger, der ohne jede demokratische Legitimation an die Macht kommen will. Aber so ist seine gesamte Clique, ohne Verantwortung und Moral. Infans infantis lupus. Piet setzt seine Interessen mit dem Faustrecht durch, Johanna verlegt sich auf die Drohung mit dem Kreischterror, heilige Schwüre sind Sekunden später nichts mehr wert. Mäßigung, Ausgleich, Kompromiss? Hohnlachend wenden sich unsere Kinder von den demokratischen Grundsätzen ab. Ihre bevorzugte Lebensform ist die Tyrannis.

Nur das Deutsche Kinderhilfswerk hat das noch nicht bemerkt. Sonst könnte sein stellvertretender Bundesvorsitzender nicht das Wahlrecht für Kinder fordern. „Unabhängig vom Alter sollte jeder wählen können“, sagt er. Nur dann würden Kinder und ihre Interessen ernst genommen. One man, one vote.

Davor kann ich nur warnen. Stellen Sie sich den 22. September mit allgemeinem Wahlrecht vor: In den Wahllokalen stolpern Sie über Krabbelkinder, Ihr Stimmzettel wird mit Fingerfarben beschmiert, die Kabinen sind auf ewig besetzt und nach 18 Uhr erhebt sich ein millionenfaches Wutgeheul über dem Land, weil nicht jeder gewonnen hat, „und der da hat viel mehr Stimmen als ich!!!“. Alle Prognosen sind wertlos, weil auf einen Schlag 15 Millionen demokratische Querschläger stimmberechtigt sind. Schlimmer noch als die „ungebundenen Wechselwähler“ in den gar nicht mehr so neuen Ländern machen sie ihr Kreuzchen nicht aus Tradition, sondern heute hier und morgen dort.

Und was werden sie wählen? Schröder kann Fußball spielen, liebt schnelle Autos und ist der Chef – aber die Frau Chefin plädiert für mehr Härte in der Erziehung. Also nicht wählbar. Stoiber hat den Opa-Bonus, aber er sieht nicht aus wie jemand, dem man ungestraft mit Buntstiften den Herrgottswinkel anmalen kann. Auch schlecht. Die Grünen haben zwar früher mal auf Parteitagen Baby gestillt, aber sie erinnern die junge Generation zu sehr an ihre Eltern und vor allem an ihre Lehrer – ganz falsch. Die PDS immerhin ist gegen alles und damit für pubertierende Jugendliche attraktiv. Richtig toll finden unsere Kinder aber die FDP. Die sind immer lustig, dürfen jeden Quatsch machen, niemand stellt sie zur Rede, und damit sie nicht nerven, dürfen sie mitbestimmen. Westerwelle & Co. werden den Kampf um die Kindsköpfe mit weitem Abstand gewinnen. Der liberale Erdrutsch ist nicht zu verhindern.

Das kann niemand wollen, der alle seine Tassen im Schrank hat. Wer unbedingt mehr Demokratie wagen muss, kann sich ja den Vorschlag von Renate Schmidt (erstens Mutter, zweitens Oma, drittens SPD-Bundesvorstand) ansehen: Väter und Mütter sollten bei der Wahl pro Kind eine zusätzliche Stimme bekommen; eine Art von parlamentarischem Kindergeld also. So würde dann das Zwei-, Drei-, Vier- oder Mehrklassensystem bei der Wahl, das in Preußen mit viel Mühe 1918 abgeschafft wurde, wieder eingeführt. Statt Steuerkraft wäre es dann Kindersegen, der zu mehr Mitsprache führt.

Das System hätte einen Vorteil: Die FDP wäre außen vor, weil ihre WählerInnen ihr Geld in Hubraum statt in Nachwuchs investieren. Verdächtig sollte allerdings sein, dass es auch von der katholischen Kirche gelobt wird – für die doch Wahlen in eigenen Angelegenheiten Teufelszeug sind.

Der Grundgedanke ist ja richtig: mehr Rücksicht auf die Interessen der Kinder, die die Staatsverschuldung, die Bildungsmisere und die Umweltprobleme ausbaden müssen. Aber wer glaubt denn daran, dass Eltern im Sinne ihrer Kinder abstimmen? Der Autofahrer soll die Grünen wählen, weil er für seine Kinder Verkehrsberuhigung braucht, obwohl er selber rasen will? Der Unternehmer die Sozis, weil seine Kleinen in eine bessere Kita gehen wollen, obwohl er alles tut, um weniger Steuern zu zahlen? Die Ökofamilie soll die Union wählen, nur weil ihre Kids Bayern München cool finden?

Das klappt nicht. Über ihren Schatten springen selbst Eltern nicht. Das lehrt die Erfahrung. Oder was haben Sie mit dem Geld gemacht, das Oma Ihnen regelmäßig für die Kinder gibt? Na? Etwa auf ein eigenes Sparbuch getan? Nein, wenn Sie es nicht ganz dicke haben oder aber ein Heiliger sind, dann haben Sie es in den großen Topf „Familienausgaben“ gesteckt, aus dem die laufenden Kosten der Familie finanziert werden. So machen das Eltern. Und so macht das auch der Finanzminister. Deswegen sagt er ja auch, er mache Finanzpolitik wie ein verantwortungsvoller Familienvater.

Fragen zu Kindern?kolumne@taz.de

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