: Schwangere werden „nur“ gefesselt
■ Der Innensenator will heute die Deputation mit einem Erlass über den Abschiebegewahrsam „überraschen“
Zeitdruck ist ein Instrument der Politik. Im Dezember vergangenen Jahres wurden in einem Gesetz Rechte und Pflichten für die sogenannte „Abschiebungshaft“ geregelt, die im Grunde keine „Haft“ ist, weil niemand dort wegen eines strafrechtlichen Vorwurfes sitzt. Was bisher fehlt, ist ein Erlass, der die gesetzlichen Vorschriften konkretisiert. Heute soll der nun von der Innendeputation beschlossen werden. Auf der Tagesordnung steht das Thema nicht, am Freitag vor Pfingsten flatterte den Mitgliedern der Deputation überraschend das Beschlusspapier auf den Tisch.
„Unsere schlimmsten Befürchtungen haben sich bestätigt“, sagt Gislaine Valter, die sich für den „Verein grenzenlos“ um Abschiebe-Häftlinge kümmert, nach einem ersten Blick auf das Papier. „Der Entwurf fasst die Rechte der Abschiebehäftlinge möglichst eng und die der Haftleitung möglichst weit“, kritisiert auch der Grüne Matthias Güldner. Er verlangt, dass betroffene Verbände und der Anwaltsverein die Möglichkeit einer Stellungnahme bekommen, bevor der Erlass politisch abgesegnet wird.
In vielen Bereichen klärt der Erlass-Entwurf nicht, was er eigentlich regeln sollte, kritisiert Johannes Feest, Jura-Professor an der Uni Bremen. Abschiebehäftlinge dürfen zum Beispiel „durch Vermittlung der Gewahrsamseinrichtung“ Einkäufe tätigen. In welchem Umfang, wäre zu regeln, um Streit zu vermeiden. „In angemessenem Umfang“, heißt es in dem Erlass-Entwurf. Haben die in Gewahrsam Genommenen das Recht auf freie Wahl des Arztes? Unter welchen Umständen? Kein Wort dazu in dem Erlass. Und: Wie können sich Häftlinge beschweren? „Völlig unzureichend sind die Ausführungen zum Beschwerderecht“, notiert der Jurist Feest.
Zum Teil behandelt der Erlass die Menschen in Abschiebegewahrsam schlechter als Strafhäftlinge. Sie dürfen Besuch von einem Anwalt bekommen, aber nicht „mehrere Häftlinge gleichzeitig“. Das soll ohne weitere Begründung und generell gelten. Das bedeutet, auch Familien dürfen nicht gemeinsam mit ihrem Anwalt sprechen. Nach dem Anwaltsbesuch „ist der Abschiebehäftling zu durchsuchen“, soll der Erlass weiter regeln. Daraus spreche „ein generelles Misstrauen“ gegenüber Anwälten, betont die Arbeitsgruppe Asyl des Anwaltsvereins. Es soll im Abschiebegewahrsam eine „Betreuung durch Sozialarbeiter“ geben. Die Forderung, hier „hauptamtliche Sozialarbeiter“ zu schreiben, wird abgelehnt. Welche Sozialarbeiter? Es wird unterstellt, dass sie von der Polizei gestellt werden. „Soweit diese Sozialarbeiter nicht Bedienstete der Polizei sind“, heißt es da, seien sie zur Verschwiegenheit zu verpflichten – Verschwiegenheit gegenüber der Anstaltsleitung? Das ist hier wohl nicht gemeint, sondern Verschwiegenheit gegenüber der Öffentlichkeit.
Während Matthias Güldner von den Grünen fordern, ausreisepflichtige Schwangere generell nicht in Abschiebehaft zu nehmen, hat der Innensenator die alten Entwürfe für den Erlass-Entwurf jetzt mit folgender Formulierung zu „verbessern“ versucht: „Die Fesselung schwangerer Abschiebehäftlinge ist nur durch Anlegen von Handfesseln zulässig.“ Nur?
Klaus Wolschner
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