in fußballland: CHRISTOPH BIERMANN über schöne WM-Zeiten
Vive la France
Während ich darüber nachdachte, ob das alles wohl so hinhauen wird mit den Zugreisen zwischen koreanischen Städten, deren Namen klingen wie neue Modelle von Hyundai, und ich mir dazu den dreitausendsten Witz über den Verzehr von Hundefleisch anhören musste, überfiel mich eine sentimentales Gefühl. Auf einmal musste ich an die schöne Zeit während der Weltmeisterschaft vor vier Jahren in Frankreich denken, obwohl es so eine schöne Zeit nun auch wieder nicht war. Schließlich wurde ich nach vier Tagen des Turniers von der Radiostation, die mich als lustigen Kolumnisten gewonnen hatte, wegen weit auseinander driftender Humorauffassungen entlassen, musste aber noch ein Buch aus diesen Kolumnen machen, denen der Irrsinn der täglichen Nachrichtenlage beigestellt werden sollte. Also schrieb ich die Betrachtungen nun exklusiv für das kleine Büchlein weiter, durchforstete dazu rastlos alle möglichen Zeitungen nach Seltsamkeiten und raste durch das Land, um mir Spiele anzuschauen. Am Tag nach dem Finale gab ich beim Verlag erschöpft das Manuskript ab, um bald darauf schon festzustellen, dass kein Mensch mehr ein Buch über eine WM kaufen mochte, in der Bertis Team von einer Mannschaft namens Kroatien schon im Viertelfinale rausgekickt worden war.
Aber schön war es natürlich trotzdem, sich mehr als zwanzig Spiele und beste Spieler der Welt en masse anzuschauen. Dabei durfte ich jene seltsamen Dinge erleben, die auf Reisen eben passieren. Etwa an einer Bushaltestelle in Bordeaux, wo chilenische und italienische Fans lautstark ihre Anwesenheit feierten, fragte der einzige Franzose, der wohl nichts von einer Fußball-Weltmeisterschaft gehört hatte: „Was ist denn hier los, Karneval?“
Oder ich schlich mich in ein durch und durch pompöses Hotel vor den Toren von Paris, wo die stets eloquenten holländischen Nationalspieler befragt werden konnten. Dort fragte ich Jaap Stam, der damals für beachtliche Fantastilliarden vom PSV Eindhoven zu Manchester United gewechselt war, inquisitorisch, ob es nicht eine Bürde bedeute, der teuerste Verteidiger der Welt zu sein, was dieser unumwunden und mit seinem freundlich-strahlenden Landmann-Lächeln bejahte. Während der bereits erwähnten schicksalsschweren Begegnung zwischen Deutschland und Kroatien diskutierte ich mit meinem Nebenmann ausgiebig die Neueinkäufe des VfL Bochum, was nach all den hochfliegenden Diskussionen um Fußball der High-End-Stufe ein nachgerade kuscheliger Moment in Mono war.
So wird es natürlich nie mehr werden. Mit Fahrten durch das raue Grün der Bretagne, köstlichem Baguette zum Frühstück, einem Croque Monsieur als Mittagshappen, einer berauschten Equipe Tricolore zum Abend und wohltemperiertem Rotwein hernach. Dazu weitschweifige Debatten über die Sturmprobleme Italiens und die verblüffende Direktheit Norwegens, übergewichtige Spieler aus Jamaika und den religiösen Streit, ob man nun zu Brasilien oder Frankreich halten solle. Oder gar zu Deutschland. Schön war die Zeit in Nachtzügen von Lyon und Ankünften an der Cote d’Azur im Morgengrauen.
So schön wird die kommende Zeit nie sein können, denn zum professionellen Reflex von Reportern gehört es, vorher erst einmal ordentlich zu maulen. Damit ist man nämlich auf der sicheren Seite, weshalb der Trip zur WM nach Korea und Japan nicht weniger als ein Albtraum ist. Weil es dahin so weit ist und im Sommer regnet und schwül ist. Weil es schon zum Frühstück eingelegten Kohl gibt. Weil man sich garantiert verläuft und die Spiele verpasst. Weil in Korea so viel Koreaner sind und in Japan noch mehr Japaner. Weil wir den Asiaten nicht verstehen und der uns auch nicht. Weil Koreaner von Fußball genauso wenig Ahnung haben wie Japaner und bestimmt an den falschen Stellen klatschen – wenn sie es denn überhaupt tun. Weil man in den Stadien nicht rauchen darf. Und teuer ist es auch. Also eins ist demnach schon mal sicher: Das wird eine ganz tolle Weltmeisterschaft.
Fotohinweis:Christoph Biermann (41) liebt Fußball und schreibt darüber
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