pampuchs tagebuch: Die Fatrate
760 Gramm gegessen, das Kilo zu 18,90 Reais – das entspricht etwa genau so vielen Mark, macht 16,26 – ungefähr 8 Euro. Kann man nicht meckern. Die Idee, Essen auch im Restaurant nach Gewicht zu verkaufen, sollte unbedingt Schule machen. Wäre ich ein besserer Geschäftsmann, würde ich sofort einen solchen Laden in München oder Berlin, London oder Paris aufmachen. In Rio gibt es ihn schon. Er heißt Siquiera Grill – Bar e Churrasquaria: Tudo por Kilo. Er befindet sich nah der Avenida Atlantica, Strandpromenade von Copacapana in der Rua Siqueira Campos 16 B. Wer es noch genauer wissen will, kann die Homepage www.siqueiragrill.com.br/ aufrufen: 20 Arten Fleisch, jede Menge Meeresfrüchte, eine eigene Abteilung mit Sushi und Sashimi , 40 verschiedene Salate und Käse. Man geht hin, häuft sich auf, lässt wiegen, häuft wieder auf, lässt wieder wiegen, bis am Ende zusammengerechnet wird. Getränke sind extra.
Ich halte diese Idee für ebenso bahnbrechend wie disziplinierend. Mein 760- Gramm-Menü war opulent, gut verträglich und ausgesprochen erhellend. Wer weiß schon, wie viel er futtert? Ich ließ es mit 130 Gramm köstlichen Sushi angehen – mit dem feinen grünen Meerrettich und hauchdünnen Ingwerscheiben. Alsdann schritt ich fort und kostete gemächlich 250 Gramm von den vielen Gemüsen und Salaten, die die brasilianische Küche zu bieten hat, darunter die feinen Palmenherzen. Reis und Bohnen, die nationale Hauptspeise, ließ ich wohlweislich weg. Derart vorbereitet, war es mir dann ein Leichtes, exakt 225 Gramm von den verschiedensten Fleischsorten zu probieren, um das ganze mit 160 Gramm leckeren Eises (inklusive Schokoladensoße) abzurunden.
Warum ich das alles hier in meiner Internetkolumne erzähle? Erstens, weil ich die nächsten Tage kein Internetcafé mehr zur Verfügung haben werde. Zweitens, weil ich endlich baden gehen will – wann ist man schon mal an der Copacabana? Und drittens liegt in dem „Tudo por Kilo“ eine Botschaft versteckt, von der auch wir Internetvielnutzer etwas lernen können:
Viele brasilianische Restaurants bieten nämlich nicht das Zahlen nach Gewicht und auch nicht normale Gerichte zu Festpreisen, sondern das „Buffet“ zum Einheitspreis (derzeit so zwischen 13 und 20 Reais). Diese Form der Genusssucht wird rodizho genannt, man kann sie aber auch einfach als „Fressen bis zum Abwinken“ bezeichnen. Zu dem normalen Buffet tragen bei diesem Volkssport der reicheren Stände hurtige Kellner laufend lange mit Fleisch oder Geflügel bestückte Degen vorbei und säbeln einem von Wachteln bis zu Würsten, von Filet bis zu Zebuhöckern laufend etwas auf den Teller, bis man erschöpft nao sagt.
Diese Art des Essens hat die Eigenschaft, an die niedrigsten Instinkte in einem zu appellieren: Man überfrisst sich regelmäßig – genauso, wie der Flatrate-User regelmäßig zu lange im Netz hängt, weil es ja bezahlt ist und genutzt werden muss, ganz egal was auf dem Menü der tonnenschweren Webseiten steht. Wie das Essen aber bedarf daher bei uns Genussmenschen auch das Surfen der sanften Kontrolle, sonst wird es maßlos. Was die Gramm bei Siqueira, sollte bei gefährdeten Netzgängern daher weiterhin die Berechnung nach Onlinesekunden sein. Im Netz verdirbt sie sonst die Flatrate und am Buffet die Fatrate.
THOMAS PAMPUCH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen