: Knotenschichten abdecken
Süffisantes, anti-taktiles Spiel mit Zwei- und Dreidimensionalität: Die Hamburger Künstlerin Mariella Mosler präsentiert in der Kunsthallen-Reihe „Standpunkte“ Sand- und Spiegelinstallationen
von PETRA SCHELLEN
Die Verlockung ist riesig: Nur einmal kurz anzufassen, einmal blitzschnell zu prüfen, ob Mariella Moslers Sand wirklich Sand ist oder ob das Gebilde nicht doch irgendwie aufgeschäumt, verfestigt, befestigt wurde. Aber man darf nicht. Ein Frust, der einen schon auf der documenta x ereilte, der der Künstlerin zum internationalen Durchbruch verhalf: Auch in der Kunsthalle also darf der Besucher nicht ertasten, ob Moslers Sand-Installation, einer physikalischen Polymer-Zeichnung ähnlich, so ephemer ist, wie sie vorgibt.
Empirie ist somit ausgeschlossen. Stattdessen ist man verurteilt, den Kuratoren der derzeitigen Kunsthallen-Ausstellung in der Reihe „Standpunkte“ zu glauben, dass der Sand fünf Tage lang auf vorgezeichneten Wegen auf eine darunter liegende Zeichnung, eine Art Schnittmuster geschüttet wurde. Vorsichtig, mühsam haben die Künsterin und ihre Helfer dabei akkurat vorgezeichnete Wege beschritten, denn wo sich die Kreuzungspunkte der Ellipsen stetig verschieben, ist jede Nanometer-Abweichung katastrophal. Eiskunstlauf-Pirouetten im Schildkröten-Tempo hat die in Hamburg lebende Künstlerin, die auf der documenta x ein spiralenes Sandgebilde präsentierte, aufgeschüttet. Schritt für Schritt hat sie sich vorgearbeitet. Das veränderlichste Material hat Mosler dabei mit der scheinbar exaktesten Methode – der Abstraktion der Polymer-Bewegung – verbunden. Ganz nebenbei wird so die trügerische Sicherheit physikalischer Modelle entlarvt, die immer nur so lange gelten, bis sie widerlegt sind.
Doch die Verquickung geht noch weiter: Aus gereinigtem Quarzsand – dem Mineral, das die akkurateren unter den Uhren antreibt– ist das raumgroße Gebilde gefertigt, hergestellt eigens für die Kunsthalle. Doch auch wenn das Geriesel so sandburgengleich an Strand-Kindertage erinnert, changiert es doch bizarr zwischen Manieriertheit und Authentizität des Materials. Denn der Sand ist gereinigt, von jenen fein stäubenden Kalkpartikeln befreit, die seine Formbarkeit beeinträchtigen könnten. Und so sind hauptsächlich gleich große, saubere Körnchen übrig geblieben. Dem Material wurde also eine ihm ursprünglich nicht eigene Stabilität abgetrotzt. Eine Manipulation, die an die quadratisch und kugelig zurechtgeschnittenen Gärten absolutistischer französischer Herrscher erinnert.
Doch als hätte sie darob ein schlechtes Gewissen bekommen, hat Mariella Mosler aus dem so erzeugten Kunst-Sand unregelmäßig ineinander verschlungene Ellipsen mit frei flottierenden Zentren gezeichnet. Nach keinem mathematischen Prinzip: „Deren Drehung zu errechnen, wäre schon sehr mühsam“, sagt die Künstlerin. Das verlangt sie auch nicht. Denn ihr eigentliches Interesse gilt den Knoten, den Kreuzungspunkten der Ellipsen. „Ich möchte das ursprünglich skulpturale Knoten-Gebilde in die Zweidimensionalität umsetzen und in Bewegung auflösen“, erklärt die Künstlerin, die nicht entscheiden mag, ob der Knoten am Anfang oder am Ende de Bewegung steht.
Sie reizt vielmehr, dass sie in der zweidimensionalen Zeichnung den Knoten – Schlinge für Schlinge – abdecken kann. Und fast scheint es, als arbeite sie sich durch verschiedene Zeit- oder Gesteinsschichten hindurch, um Genese und Struktur der Verschlingung zu erfassen. Und wer weiß, vielleicht winden sich Moslers Ellipsen auch in jeweils verschiedenen Tempi umeinander.
Doch zufrieden gibt sie sich mit der Ent-Plastifizierung nicht: Ganz dezent holt Mariella Mosler die entschleunigten Knoten letztlich doch wieder in die Dreidimensionalität zurück: in der Spiegel-Installation des angrenzenden Raums, in deren Scheiben sich das Pseudo-Sandpolymer spiegelt. Aus 48 Spiegeln, die mit Quadraten aus silbernem Blattmetall überzogen sind, ist die dortige Installation zusammengesetzt. Doch die Quadrate sind allenfalls zufällig passend aneinander montiert: „Der Blick des Betrachters wird immer wieder unterbrochen. Er kann weder sich selbst vollständig betrachten noch den Linien durchgängig folgen“, sagt Mosler.
Es ist ihre erste Spiegelarbeit überhaupt, mit dem Titel „Viollet“ an den Architekten Viollet-Le-Duc (1814–1879) erinnernd. Zentrales Thema auch hier: der Knoten, diesmal um die Rezeptionskomponente erweitert. Knoten in der Wahrnehmung, Widerhaken in der Geschichte, die man aus den Rasterlinien auf den Spiegeln basteln möchte, hat Mosler hier eingebaut. Ein gelungener Kontrapunkt übrigens zur dezent fließenden Ent-Knotung des Sandgebildes. Weiteres Kontrastelement der beiden Installationen: die mutmaßliche Lärmentwicklung im Falle der – geplanten oder ungeplanten – Vernichtung.
Mariella Mosler. Hamburger Kunsthalle. Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; bis 11. August
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