: Mercedes macht Arbeiter locker
Aus dem Giftschrank des ZK: Nach 45 Jahren wird der Defa-Film „Die Schönste“ heute im Babylon uraufgeführt. Damals gab es Probleme mit der Zensur, weil der vorgeführte Glanz des Westens zu wenig nach Konsumfalle aussah
Zunächst sind Verbotsfilme immer deshalb interessant, weil sie verboten waren. Diesbezüglich gibt es ja diesen Allgemeinplatz über das süßere Obst. So verlockend es ist, endlich etwas zu sehen, was Jahrzehnte weggesperrt war, so heikel erweist sich der Moment für die filmischen Werke. Denn das Kino hat ein besonderes Verhältnis zur Gegenwart; Filme altern schnell, und wenn sie diesen Prozess nicht synchron mit ihren Zuschauern durchlaufen, dann ist es fast, als wären sie nie lebendig gewesen. Viele der Filme, die in den letzten 15 Jahren von den Regalen geholt wurden, haben es nicht geschafft über den Status eines Zeitdokuments hinaus sich in die Filmgeschichte wieder einzuschreiben.
Der Film „Die Schönste“, der heute im Babylon 45 Jahre nach seiner Fertigstellung Premiere hat, ist ein Projekt der so genannten Tauwetterperiode. Man schrieb das Jahr 1956 und Chruschtschow hatte gerade in geheimer Rede Stalins Personenkult verurteilt. Engere Verbindungen zwischen Ost und West schienen genauso möglich wie eine Lockerung der ideologischen Kontrolle. Das Drehbuch der „Schönsten“ musste deshalb – zum ersten Mal – nicht eigens genehmigt werden; man wollte sich in den anbrechenden demokratischeren Zeiten mit der Abnahme des fertigen Films begnügen. Zudem war „Die Schönste“ ein Unterhaltungsfilmprojekt, der einheimische Zuschauer sollte auf erbauliche Weise Zerstreuung finden. Für die Geschichte, die im damaligen Westberlin spielt, wurden Regisseur (Ernesto Remani) und auch einige Darsteller (zum Beispiel Siegfried Schürenberg) aus dem Westen eingeladen. Die erste Fassung überstand allerdings 1958 die Abnahme durch die Hauptverwaltung nicht.
Eine protzige Villa, davor ein dunkler, blitzender Mercedes und bald noch ein heller Porsche, so beginnt „Die Schönste“ und man glaubt kaum, dass man sich in einem Defa-Film befindet. Bei so viel glänzender Oberfläche muss es um die Entlarvung des „Darunter“ gehen. Tatsächlich dreht sich die Handlung um den Zwang zum Schein in der kapitalistischen Gesellschaft, parabelhaft erzählt als Geschichte einer Wette zwischen den Söhnen eines neureichen Villabesitzers und eines Kfz-Mechanikers. Doch die Mechanikerfamilie war den Behörden zu reich – es lag Obst auf den Küchentisch – und der kritische Impetus zu lasch geraten: Zu versöhnlerisch, zu sympathisch zeige der Film das, was er verurteilen wolle. So wurde das Ende verändert, Szenen nachgedreht und eine Rahmenhandlung erfunden, in der Manfred Krug „Schade, schade, alles nur Fassade“ singt und das Ganze außerdem von zwei Arbeitern im pseudolockeren Meister-Lehrling-Dialog erläutert wird, damit es auch ja die besonders Denkfaulen noch kapieren.
Die so entstandene 60-minütige Zensurfassung kam trotz alledem nicht ins Kino. Was als attraktiver Film mit hohen „production values“ geplant war, erwies sich als unlösbare ideologische Zwickmühle. Der Vergleich der beiden Fassungen, zu dem jetzt die Möglichkeit besteht, offenbart vor allem die Ängstlichkeit und das mangelnde Selbstbewusstsein der Kontrollinstanzen. Man wollte zwar die Leute durch die schönen glänzenden Fassaden ins Kino locken, aber man traute ihnen nicht zu, dass sie sich von dem Dargestellten nicht blenden ließen, selbst wenn Plot und Rahmenhandlung noch so schlüssig deren Verlogenheit darlegten. Besonders ergreifend ist das allerdings, wenn man sich klar macht, wie Recht sie mit dieser Angst schließlich behalten sollten.
BARBARA SCHWEIZERHOF
Heute, 19 und 21.30 Uhr, Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30
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