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Schnitzeljagd auf die Quote

Der Kultursender Arte feiert seinen zehnten Geburtstag – und wird mehr geschätzt als eingeschaltet. Das soll sich ändern: Die Verantwortlichen basteln an einem neuen, europatauglichen Profil

Jobst Plog: „Viele Zuschauer finden Arte zu kühl und zu intellektuell.“

von MARTINA WITTNEBEN

Wer kennt es nicht, das Wehklagen über das sinkende Niveau im deutschen Fernsehen. Da möchte man kaum noch einschalten, tönt es von vielen Seiten. Und wenn überhaupt, sehe manhöchstens noch die qualitativ hochwertigen Sendungen der beiden großen öffentlich-rechtlichen Sender, manchmal auch etwas auf den Dritten oder in 3sat. Und natürlich Arte. Da sind sich alle einig.

Als Arte am 30. Mai 1992 das erste Mal auf Sendung ging, glaubte keiner so recht an eine Zukunft des aus der deutsch-französischen Versöhnungspolitik François Mitterrands und Helmut Kohls geborenen Fernsehkinds. Und doch entwickelte sich das gegen den Mainstream sendende Programm rasch zu einem festen Bestandteil der Fernsehlandschaft im deutsch-französischen Sprachraum und auch darüber hinaus, da Arte im Laufe der Jahre durch Partnerschaften mit Polen, Finnland und Spanien ein zunehmend europäisches Profil gewann.

Arte versteht sich dabei als Kulturvermittler und Kulturgestalter. Zwei Drittel aller ausgestrahlten Filme des Senders, der laut Gründungsvertrag vollständig auf Werbung verzichtet und sich hauptsächlich über Fernsehgebühren finanziert, stammen aus Europa. In zehn Jahren hat Arte über 400 Filme koproduziert – darunter „Dancer in the Dark“ von Lars von Trier und Tom Tykwers „Lola rennt“.

Dieser betont internationale Charakter mit europäischem Akzent ist es, der den zu gleichen Teilen aus Arte Deutschland TV GmbH (ARD/ZDF) und Arte France bestehenden Sender von den eher national oder regional ausgerichteten Programmen der anderen Öffentlich-Rechtlichen abhebt. Ein unverwechselbares Markenzeichen sind auch die Themenabende. In Spielfilmen, Dokumentationen und Kurzfilmen widmet sich Arte drei Mal pro Woche einen Abend lang einem speziellen Thema. Auch wenn das Programm nicht mehr ganz so extravagant ist wie in den Anfangsjahren, hat sich Arte mit hochwertigen Dokumentationen und Reportagen sowie Spiel- und Fernsehfilmen einen Namen gemacht und ist heute 85 Prozent der Deutschen ein Begriff. Die Qualität des preisgekrönten Programms wird allerdings von den Zuschauern nur mäßig honoriert. In Deutschland liegt der Marktanteil bei gerade mal 0,8 Prozent. In Frankreich sind es immerhin vier Prozent, aber das auch nur, weil Arte dort lediglich mit fünf weiteren Sendern konkurriert. Ab September 2003 wird es allerdings auch in Frankreich 30 Sender geben und die Arte-Quote vermutlich sinken.

Schon seit seiner Gründung sah sich der Sender deutsch-französischen Abstimmungsproblemen gegenübergestellt. So herrschen dies- und jenseits des Rheins völlig unterschiedliche Sehgewohnheiten. Beginnt die Primetime in Deutschland um 20.15 Uhr, startet sie in Frankreich erst gegen 20.50 Uhr. Und wenn auch eine 1998 erfolgte Angleichung dieses Problem milderte, so muss Arte immer noch auf die inhaltlichen Vorlieben der Partnerländer eingehen. War das bei den Franzosen überaus beliebte Sozialdrama „Marius und Jeanette“ in Deutschland ein Flop, so konnten die Franzosen mit dem deutschen Erfolg „Die Blechtrommel“ wenig anfangen.

Es gibt ihn also nicht, den europäischen Zuschauer. Und es ist wohl auch diese Erkenntnis, die die Programmstrategen dazu veranlasste, das Profil des Senders zu überdenken. Viele Zuschauer fänden Arte „zu kühl und intellektuell“, sagte Arte-Präsident und NDR-Intendant Jobst Plog, kürzlich in Hamburg. Arte habe „kein Gesicht“ kritisierte Plog. Daher sei es wichtig, den Sender durch „typische Arte-Marken mit hohem Wiedererkennungswert“ stärker zu profilieren. Auch wolle Arte nun verstärkt ein „ganz normales Publikum“ ansprechen. Einige Änderungen im Programm, wie zum Beispiel die 1998 eingeführte Doku-Soap, haben diesen Imagewechsel und die dadurch erhofften steigenden Zuschauerzahlen bereits eingeleitet. Nun plant Arte laut Plog weitere Veränderungen. Wichtig auf diesem Weg sei der Einstieg ins Nachmittagsprogramm, sagt Plog. Bisher konnte man Arte über Kabel erst ab 19 Uhr empfangen, jetzt beginnt das Programm in Bremen, Niedersachsen und Hamburg bereits um 14 Uhr. Weitere Bundesländer werden noch in diesem Jahr nachziehen.

Neue Formate wie „Die großen Sportduelle“ oder „Ein Tag mit Folgen“ sollen Medienereignisse „nach ein bis zwei Jahren mit der nötigen Distanz betrachten“. Auch habe sich der Sender eine „Ausweitung des Begriffs Kultur“ vorgenommen und wolle daher verstärkt auch den „Alltag der Menschen“ berücksichtigen, kündigte Plog an. Und Arte soll künftig „ein Profil als europäischer Informationssender“ entwickeln, da in Zeiten, wo zwei Drittel aller politisch oder wirtschaftlich relevanten Entscheidungen in Brüssel gefällt werden, die kontinuierliche Begleitung von Europathemen Plog zufolge „eine Marktlücke“ sei. Diese Pläne verlangen laut Plog allerdings nach einer größeren Unabhängigkeit der Straßburger Zentrale, die nur 20 Prozent des Gesamtetats von 350 Millionen Euro erhält. Ein stärkeres Mitspracherecht der Zentrale bei der Programmgestaltung und -finanzierung würde die Entwicklung eines europäischen Profils erleichtern.

Ob die neuen Akzente sowie die geplante Streichung von Originalversionen und die in Erwägung gezogene Einführung von Quizsendungen – in der Jubiläumswoche vom 25. bis 31. Mai soll eine deutsch-französische Schnitzeljagd dieses Format testen – nicht eher auf Kosten des Profils von Arte gehen, wird sich zeigen. Der Sender jedenfalls wünscht sich nichts sehnlicher, als „die Schere zwischen Ruf und realen Konsumenten etwas mehr zu schließen“.

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