: Der Drüberflieger
aus Berlin RALPH BOLLMANN
Der Vorwurf traf ihn. Er, Christoph Stölzl, der Ästhet und bürgerliche Schöngeist, in einem Anzug aus „braunem Moirée“? Und das auch noch zur unpassendsten Stunde, bei einem Empfang zur Mittagszeit? Die „absurde Denunziation“ eines Kolumnisten der FAZ konnte Stölzl nicht auf sich sitzen lassen. Prompt schrieb er eine Gegendarstellung, um die „krasse Falschmeldung“ zu korrigieren. Das kritisierte Kleidungsstück sei mitnichten aus Moirée, sondern aus einem Gewebe namens „Bird’s Eye“ gearbeitet – und deshalb „für einen feierlichen, gleichwohl heiteren geselligen Anlass um 12 Uhr mittags vollkommen passend“.
Stölzl wird seine Ansprüche herunterschrauben müssen, wenn er sich morgen zum neuen Vorsitzenden der Berliner CDU wählen lässt. In der Partei galt bislang ein Outfit mit eher mafiösem Einschlag als höchstes aller modischen Gefühle. Mit Zweireiher, Rolex und Fönfrisur machte schon der frühere Fraktionschef Klaus Landowsky in der Stadt der Jogginganzüge Eindruck.
Mit Stölzl tritt ein bekennender Großbürger und Intellektueller an die Spitze einer Landespartei, in der es nur wenige Großbürger und fast keine Intellektuellen gibt. Es ist eines jener Experimente, die nur in verzweifelten Situationen möglich sind. Der frühere Bürgermeister und Landesvorsitzende Eberhard Diepgen ist über die Berliner Bankaffäre gestürzt, die Fraktion im Abgeordnetenhaus hat sich halbiert, zwei langjährige Funktionsträger wurden nur gegen Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Lage ist schlimmer als die Krise der Bundes-CDU vor zwei Jahren. Die Partei wagte damals ebenfalls etwas Neues, als sie eine Frau aus dem Osten an die Spitze wählte.
Wie Angela Merkel vor ihrer Wahl hat auch Christoph Stölzl in den vergangenen Wochen Regionalkonferenzen abgehalten, warb um Stimmen und testete Stimmungen, vom proletarischen Neukölln bis zum bürgerlichen Wilmersdorf, bei türkischen Geschäftsleuten genauso wie bei der Jungen Union. Dabei trat er aber nie alleine auf. An ihm klebte stets der Fraktionsvorsitzende Frank Steffel, der die Partei gerne selbst geführt hätte. Jener Steffel, der bei der Berliner im Oktober gegen Klaus Wowereit und Gregor Gysi unterlag.
Neureiches Berliner Gehabe
Der gescheiterte Spitzenkandidat ist es vor allem, dem der 58-jährige Stölzl seine späte Parteikarriere zu verdanken hat. Wenn Steffel poltert und brüllt, wenn er mit der Hand aufs Rednerpult eindrischt und mit neureichem Gehabe die Freigabe des Ladenschlusses fordert, „damit die Leute nicht nach London oder Paris müssen“ – dann wenden sich nicht nur die Meinungsführer der Stadt ab, sondern auch die Liberalen in der eigenen Partei. In ihrer Not drängten sie den früheren Kultursenator Stölzl, für das Parteiamt zu kandidieren.
Für Stölzl war es der Ausweg aus einer selbst verschuldeten beruflichen Sackgasse. 15 Jahre lang stand der promovierte Historiker bis 1999 an der Spitze des Deutschen Historischen Museums und überzeugte mit gefeierten Ausstellungen selbst scharfe Kritiker des kohlschen Museumsprojekts. „Insofern ist alles, was ich tue, ein Nachleben“, sagt Stölzl. Es war die Rolle seines Lebens, und niemand verstand, warum er sie vor drei Jahren gegen einen Ressortleiterposten beim Feuilleton der Welt eintauschte. Bei der Zeitung blieb Stölzl nur kurz. Nach wenigen Monaten wurde der Posten des Berliner Kultursenators frei. Aber in diesem Amt konnte er wenig ausrichten, auch wegen des fehlenden Parteibuchs. Als er vor einem Jahr die Konsequenz zog und in die CDU eintrat, steckte die Partei schon mitten in Klaus Landowskys Spendenaffäre.
Vom Senator wurde Stölzl zum eigentlich machtlosen Vizepräsidenten des Landesparlaments. Er fühlte sich jedoch zu Höherem berufen: Mit einer glanzvollen Rede gegen die Regierungsbeteiligung der PDS empfahl er sich im Januar für neue Aufgaben. Bei einem Satz schien es, als formulierte Stölzl sein Lebensmotto: „Der Mensch wird geboren, um die Schwingen auszubreiten und fliegen zu lernen übers Enge und Kleine hinaus.“
Und dieser Christoph Stölzl, Spezialist fürs Weite und Große, will nun in der Zwergenwelt der Berliner Lokalpolitik landen? Zu den Debatten über die Sperrung des Brandenburger Tors für den Autoverkehr oder über den angemessenen Polizeieinsatz gegen randalierende Jugendliche am 1. Mai? Zu den Schrebergärtnern und Ortsvereinskassierern, deren Horizont über den nächsten Bahndamm nicht hinausreicht?
Er tut es, und es funktioniert sogar. In seinem dreiteiligen Anzug geht er ins Vereinsheim der Kleingärtner, macht sich mit einem vergoldeten Kugelschreiber letzte Notizen, spricht in fein ziselierten Sätzen zu den Parteifunktionären des Bezirks. „Wir schlagen ein neues Kapitel auf, nämlich mit Professor Stölzl“, erklärt der Parteivorsitzende des Bezirks. Und dann beginnt Stölzl seine Rede vor den Kleingärtnern mit dem erstaunlichen Satz: „In einem Garten ist einmal die Welt erschaffen worden.“
Darin hat Stölzl seinen Refrain gefunden: Die Berliner CDU neu zu erschaffen als eine „bürgerliche“ Partei. Er sagt: „Wir, das bürgerliche Berlin.“ Nicht um die Steuerklasse gehe es ihm,sondern um einen Menschentypus. Um den Arbeiter, „der zu stolz ist, um seinen Strom aus der Steckdose des Sozialstaats zu beziehen“. Um den türkischen Berliner, „der ein bisschen ein warmes Kribbeln ums Herz hat, wenn er Schwarzrotgold sieht“. Aber auch um einen Menschentypus, „der niemals Frieden machen kann mit der PDS“.
Und noch etwas sagt der künftige Vorsitzende bei jedem seiner Auftritte an der Basis. „I never promised you a rosegarden“, beschwört er die Parteifreunde: Ich hab euch nie einen Rosengarten versprochen. Es ist der Titel eines Hits aus den frühen Siebzigern, aber auch der Titel eines Bestsellers, in dem die amerikanische Autorin Joanne Greenberg ihre Heilung von der Schizophrenie beschrieb – und dabei „die Argumente für ein Leben in unserer unvollkommenen Realität“ abwog gegen „die Argumente für einen Rückzug in die Sicherheit der Krankheit“. Fast klingt es, als ginge es da um die Berliner CDU.
Das Leben in der unvollkommenen Realität: Das ist die neue Berliner CDU, für die Stölzl nach dem Willen seiner Unterstützer vom liberalen Parteiflügel stehen soll. Eine Partei, die sich in dem Jahr seit ihrem Machtverlust so rasant verändert hat wie in Jahrzehnten nicht.
Der Rückzug in die Innenwelt, die der Schizophrene als sicher empfindet: Das sind die alten Seilschaften und Kungelrunden, für die in der öffentlichen Wahrnehmung der Fraktionsvorsitzende Steffel steht. Als Zögling des gescheiterten Politbankers Landowsky verkörpert er die Kontinuität der alten Berliner CDU, und das sichert ihm die Loyalität eines großen Teils der Funktionäre. Wenn es Steffel gelingt, die Kontrolle über den Parteiapparat zu behalten, kann ihm Stölzl nur nützlich sein: Als präsidialer Parteivorsitzender, der nach außen eine Erneuerung verkörpert, die es in Wahrheit nicht gibt.
Die erste Niederlage hat Stölzl schon eingesteckt. Als Generalsekretär der Landespartei wird er nicht seinen Wunschkandidaten vorschlagen, sondern eine Frau aus der alten Diepgen-Union. Als künftiger Landeschef hätte er das alleinige Vorschlagsrecht gehabt. Aber schon beim ersten richtigen Konflikt kämpft er gar nicht erst. Es klingt fast verzweifelt, wenn einer von Stölzls Unterstützern in der CDU mahnt: „Er muss auch sagen, was er will.“
Pläne als Stoiber-Minister?
Aber was will Stölzl überhaupt? Hat er überhaupt etwas vor mit der Berliner CDU? Oder ist der Landesvorsitz nur eine weitere Zwischenstation in seiner Karriereplanung? Sollte die Union die Bundestagswahl im Herbst gewinnen, gilt er als Favorit für das Amt des Staatsministers für Kultur. Er gibt sich wenig Mühe, solche Karrierepläne abzustreiten. „Wir sind nicht in einem Hätte-Verein“, sagt er pflichtschuldig. Um dann nachzuschieben: „Es interessiert mich ganz stark, die kulturelle Rolle Berlins in einem föderalen Staat zu definieren.“ Als Staatsminister könnte der Bayer vollenden, was ihm als Kultursenator nicht gelang. Und wer wäre besser geeignet, einen bayerischen Kanzler mit der preußischen Hauptstadt auszusöhnen?
Wahrscheinlich gibt nur einen Menschen, der sich über so einen Karrieresprung mehr freuen würde als Stölzl selbst. Es ist seine Ehefrau, die nach der Senatorenwahl vor zwei Jahren verkündete: „Wir sind Senator geworden.“
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