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Ein Lied für Chiapas

Von Zappa bis Zapata: Los de Abajo sind die vielseitigste Band Mexikos. Dank ihres Mentors David Byrne hat sich ihr Ruf auch im Ausland verbreitet

Einst eine Ska-Band, sind Los de Abajo heute auch für Speed-Salsa und Cumbia gut

von DANIEL BAX

„Carlos Santana war sehr wichtig für die Musik in Mexiko. Aber es ist symptomatisch, dass er emigrieren musste um berühmt zu werden“, legt Liber Terán den Finger auf die Wunde. Sein Beispiel verdeutlicht das Dilemma der mexikanischen Musikszene, deren Schicksal es ist, stets im Schatten des mächtigen Nachbarn zu stehen. Von Javier Batiz, dem Anführer einer mexikanischen R-’n’-‘B-Band, schaute sich Carlos Santana in den Sechzigern seine ersten Gitarrengriffe ab. Doch Carlos Santana zog weiter nach Los Angeles, von wo aus er später Weltruhm erlangen sollte, Javier Batiz aber blieb in Mexiko zurück. „Und – kennen Sie Batiz?“, fragt Liber Terán rhetorisch.

Seiner eigene Band, Los de Abajo, hat dagegen schon breite internationale Anerkennung erlangt, und das ganz ohne Umzug gen Norden. Das liegt nicht nur daran, dass David Byrne sie bei seinem global engagierten Kunterbunt-Plattenlabel „Luaka Bop“ unter Vertrag genommen hat, das seinen Sitz in New York und schon lange ein Auge geworfen hat auf jene neue Bandbewegung in Lateinamerika, die von Argentinien bis Mexiko einer alternativ angehauchten Großstadtjugend eine Stimme gibt. Das liegt auch daran, dass Los de Abajo schlicht die erfrischendsten Exponenten dieser jungen Szene sind, und nicht nur in Mexiko-Stadt rechtmäßig längst im Ruf einer Kultband stehen.

Der Kern der Kapelle, die heute acht Mitglieder umfasst, fand vor zehn Jahren an der Universität zusammen: allesamt studierte Musiker, aufgewachsen mit britischen Ska- und Punkbands wie den Specials und The Clash, aber auch mit einer Leidenschaft für die südamerikanische Folklore der Straße, für Cumbia oder die drömelige Mariachi-Musik. Manche der Musiker kennen sich schon von Kindesbeinen an, so wie Liber Terán, der Sänger und Flötist mit den grün gefärbten Haaren, und Yocupitzio Arrellano, der Schlagzeuger der Gruppe.

Los de Abajo verstehen sich als Kinder der Revolte von 1968, auch wenn fast alle erst nach diesem symbolträchtigen Datum geboren sind. Ganz unten liegen zwar nicht ihre Ursprünge, wie ihr Name impliziert – tatsächlich stammen fast alle Mitglieder aus einigermaßen geordneten Mittelschichtsverhältnissen –, dafür aber ihre Sympathien: Der Name geht auf einen Klassiker der mexikanischen Revolutionsliteratur zurück, und aus ihrem Respekt für die Zapatistenbewegung in ihrem Land macht die Band keinen Hehl. Vor kurzem war sie in Chiapas unterwegs, auf Stippvisite beim Subcomandante Marcos, wie schon Manu Chao. „Als wir dort waren, hat ein Soldat auf Schritt und Tritt Fotos von uns gemacht“, berichtet Liber Terán. Er misstraut der aktuellen Situation: „Es herrscht viel Überwachung dort. Aber dass die Bewegung vor dem Kongress angehört worden ist, war schon ein historischer Schritt.

Wenig überraschend, dass Medien und etablierte Plattenfirmen in Mexiko zunächst einen Bogen um Los de Abajo machten und diese auf anderen Wegen ihre Öffentlichkeit finden mussten: Auf Kassetten veröffentlichten sie zunächst ihre Musik, und ihre energetischen Liveauftritte – aus Mangel an Räumen oft unter freiem Himmel – mehrten stetig ihren Ruhm. Weil man aber nicht wusste, bei welcher Plattenfirma man unterkommen sollte, schrieb man einen Brief an Mr David Byrne und legte noch eine Videokassette von einem Konzertgig auf einer Gewerkschaftsversammlung bei. „Es war, als hätten wir versucht, mit einem Pfeil auf den Mond zu schießen“, erinnert sich Yocu, der Drummer. Überraschenderweise kam eine Anwort, und 1998 erschien ihr selbst betiteltes Debüt im Hause Luaka Bop.

Seitdem stehen Los de Abajo viele Türen offen, die Presse in Mexiko hat sie entdeckt, und ein Video von ihnen schaffte es sogar in die Rotation von MTV Latino. Leben kann das Kollektiv, das seine Einnahmen gleichmäßig aufteilt, allerdings noch immer nicht ausschließlich von seiner Kunst, und so halten sich manche Mitglieder mit Nebenjobs über Wasser, indem sie etwa Kurse an Musikschulen geben. Falls sie dafür Zeit haben, denn zuletzt war das Ensemble zumeist auf Tournee – „da habe ich die anderen öfters gesehen als meine Frau“, stöhnt Yocu Arrellano.

Grund dafür ist auch die Nachfrage, die ihr jüngstes Album „Cybertropic Chilango Power“ ausgelöst hat. Auf diesem wurde der Ska-Einfluss, ursprünglich die Ausgangsbasis von Los de Abajo, hörbar zurückgefahren; dafür schlägt die Vielseitigkeit der einzelnen Musiker, die teils vom Jazz geschult, teils in Salsa oder dem mexikanischen Son geübt sind, deutlicher durch. Das Repertoire wirkt geordneter: ganz so, als hätten sie versucht, nicht mehr wie bislang in jedem Song alle Stile zu mischen, sondern sich auf einen oder zwei pro Song konzentriert. Gekrönt wurde das Werk kürzlich mit einem „World Music Award“, den die englische BBC ins Leben gerufen hat. Doch der persönliche Höhepunkt ihrer bisherigen Laufbahn war für Los de Abajo ein Konzert auf dem größten Festival Mexikos, vor 150.000 Menschen.

Besonders gerne spielen Los de Abajo auch jenseits der Grenze, wo man sich stets wie bei einem Heimspiel wähnt: „Die jungen Latinos in den USA sind voller Sturm und Drang“, meint Liber Terán. „Unsere Konzerte sind ein Ort, wo sie ein Ventil für ihre Frustrationen finden. Nicht anders als bei uns.“ In den Norden zu ziehen mag er sich trotzdem nicht vorstellen. „Ich habe in Michigan studiert“, erzählt er, „aber das ist definitiv nicht der Ort, an dem ich meine Kinder großziehen möchte. Denn wo immer du hingehst in den USA, wird dir das Gefühl vermittelt, dass du ein Latino bist. Und das ist selten anerkennend gemeint.“

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