piwik no script img

Plaudertasche beim Friseur

Verloren in einer undurchsichtigen Welt: Wagner Pá verschlug es einst aus Brasilien nach Barcelona. Sein sympathischen Album-Debüt „Brazuca Matraca“ ist eine Hommage an seine Wahlheimat

Als DJ zählte Wagner Pá zu den Gründern des Szenetreffpunkts namens Club Mestizo

von STEFAN FRANZEN

„ ‚Brazuca‘ nennen sie hier in Barcelona die Brasilianer, und ‚matraca‘ bedeutet, dass man gerne schwatzt. Für meine Musik ist das Wort sehr wichtig – nicht so sehr die Bedeutung des Wortes, vielmehr sein Klang. Deshalb dachte ich, das wäre ein guter Titel für mein Album“, sinniert Wagner Pá über sein sympathisches, unkompliziertes Debüt.

Vor 17 Jahren kam der Diplomatensohn nach Katalanien, Kindheit und Jugend verbrachte er in Rio und Brasília. „Klar, dass ich auch heute noch mit meiner Heimat in ständigem Kontakt bin. Sowohl hier in Europa als auch in Südamerika fühle ich mich als jemand, der zugleich von nirgendwo und von überallher kommt. Ein seltsames Gefühl.“ Dabei haben sie es ihm in der Gaudí-Stadt nicht schwer gemacht, heimisch zu werden. Schon früh avancierte er in Schuppen wie „Tarantos“ oder „Bikini“ zum gefragten DJ für Funk und afrikanische Musik, später zählte er zu den Gründern des Club Mestizo, Brennspiegel und Werkstatt der aufkeimenden Alternativszene.

„Der Club war sehr wichtig, denn hier konnten sich afrikanische und lateinamerikanische Musiker begegnen, Bands wie Macaco oder Dusminguet herausformen oder auch mal Kollegen aus der alten Heimat wie Chico César vorbeischauen. Es gab hier regelmäßige Tanzabende für die hispano-senegalesischen Leute, ein afrikanischer Friseurladen war integriert. Und es war hier, wo ich zu komponieren begann und für andere Musiker, etwa den baskischen Rocker Fermin Muguruza, zu arbeiten.“ Gefragt nach den Bedingungen, die eine solch bunte Szene begünstigen, setzt er zum Loblied auf seine Wahlheimat an: „Wir haben hier eine sehr experimentelle Electronica-Gemeinde und außerdem unseren Mestizo-Zirkel, das alles hat unseren Ruf in ganz Europa begründet. Es ist diese ‚Halbblutmusik‘, die uns völlig vom Rest Spaniens unterscheidet. Viele Franzosen kommen hierher, um sich Anregungen zu holen. Schauen Sie sich Manu Chao an: Frankreich wurde ihm zu hochnäsig und zu groß, hier dagegen ist alles überschaubar und nicht so professionalisiert. Und es gibt hier keine Ghettos verschiedener Genres: Ich kann hier in einen afrikanischen Club gehen und zu Kruder & Dorfmeister schwoofen, und anschließend besuche ich ein Jazz-Konzert.“

Eine vergleichbar bunte Spielwiese ist auch Wagners Debüt, das ursprünglich nur als Demo-Tape geplant war, eingespielt mit den engsten Freunden aus der Clique des Club Mestizo. Produziert hat Toti Arimany von der Gruppe Dusminguet, der den schlichten Melodien und Arrangements mit Gitarren, Flöten, Cavaquinho und Percussion einen Schuss flubbernde Elektro-Sounds hinzugegeben hat. Vergleiche mit den minimalistischen Klängen der Alben von Manu Chao, der im Hintergrund zweier Stücke seine unverkennbaren Vocals beisteuert, sind da unvermeidlich. Doch Wagner stellt klar: „Manu hatte nur einen ganz geringen Einfluss auf die Produktion meines Albums. Mein großes Vorbild ist vielmehr der Sambafunk-Komponist Jorge Ben, ich bewundere seine Art, simple Songs zu schreiben. Der Samba ist ja eigentlich ein melancholisches Genre, aber durch die synkopierten, eleganten Rhythmen kann man über die geschilderte Tragik sogar lachen. Darin ist Jorge Ben ein Meister.“

Doch diese urbrasilianische Ambivalenz hat auch Wagner in seinen unausgegorenen Miniaturen gut aufgefangen. Zu einer lakonischen Melodie auf der Indioflöte singt er mit unverblümter Intonationsschwäche vom Schmerz, der den einsamen Popsänger nach und nach umbringt, polternde Bläser-Samples von Hector Lavoe und eine anachronistische Rhythmusbox bilden das Signal für die Anrufung afrobrasilianischer Gottheiten. Und ganz im Geiste der modernen brasilianischen Pop-Poeten jongliert er in drei Sprachen mit reizenden Wortspielen. Kostprobe: „Soy del culo del mundo, y del color del mundo“ – Leute, die vom Arsch der Welt kommen, tragen eben gerade zu deren Buntheit bei.

Sein augenzwinkernder Beitrag zur Globalisierung, die er in einem anderen Stück, einer improvisierten Harlekinade, als pseudomystischen Zirkel verulkt: „Ich bin kein ausgesprochener Globalisierungsgegner, aber ich fühle mich etwas verloren in einer Welt, die so undurchsichtig geworden ist. Darum geht es in dem Lied ‚Circo mistico‘: Darum, dass uns die alten Götter abhanden gekommen sind. Popstars und Markenartikel haben ihre Rolle übernommen, besonders aber der Weltmarkt.“

Wagner Pá: „Brazuca Matraca“ (Exil). www.exil.de/www.clubmestizo.com

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen