: „Die Musik muss anschaffen gehen“
Regisseur Christian Petzold vertraut offensichtlich den Klängen mehr als dem Wort. Und hebt sich auf diese Weise mit seinem Film Noir „Toter Mann“ deutlich von den üblichen quotenträchtigen TV-Krimis ab (Arte, Fr., 20.45 Uhr und ZDF, Mo., 20.15 Uhr)
Interview CHRISTIAN BUSS
taz: Im letzten Jahr haben Sie den Bundesfilmpreis für „Die innere Sicherheit“ erhalten – gemeinsam mit ihrem Produzenten Florian Körner von Gustorf, der bei der Band Mutter musiziert. Ein fast unbekannter Regisseur und der Schlagzeuger der radikalsten deutschen Undergroundband sacken den begehrtesten Preis der deutschen Filmwirtschaft ein.
Christian Petzold: Wir haben, ehrlich gesagt, nicht daran geglaubt, dass wir den Preis bekommen. Wir haben da sicherlich auch historisches Glück gehabt, weil unserem Film durch die damalige Fischer-Debatte so viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Ich konnte dann aber gar nicht richtig feiern, denn direkt nach der Verleihung habe ich mit dem Dreh von „Toter Mann“ begonnen. Dass Filmarbeit sowas Alltägliches sein kann, war eine neue Erfahrung für mich. Normalerweise muss man ja mit seinen Drehbüchern fünf Jahre in Redaktionsstuben rumhängen, bevor man sie realisieren darf. Zum Glück hatte ich noch vor der Fertigstellung von „Die innere Sicherheit“ zwei weitere Projekte angeleiert. Auftragsarbeiten für’s Fernsehen, ohne die üblichen Filmförderungsinstanzen. Mir graute davor, mich noch mal so lange mit der Finanzierung rumzuschlagen. Deshalb wollte ich zwei B-Filme nachlegen. Noir-Filme, die im Kino keine Heimat mehr haben. Mit dem gleichen Ensemble wie „Toter Mann“ drehe ich bald noch einen weiteren Film fürs ZDF.
Hatte die Entscheidung, fürs Fernsehen zu arbeiten, auch mit dem Produktionshickhack bei „Die innere Sicherheit“ zu tun? Während der Vorbereitungen war ja der Verleih Pleite gegangen.
Ich weiß nicht genau, ob da nicht auch ein bisschen Feigheit von mir mit im Spiel war. Auf jeden Fall erschien mir die Idee, zwei Filme fürs Fernsehen zu drehen, sehr attraktiv. Da war alles geregelt. Es gab 28 Drehtage und einen Etat von zwei Millionen Mark. Außerdem haben mich Krimis immer interessiert. Ich wollte nicht noch so einen einsamen Film machen wie „Die innere Sicherheit“, für den sich hierzulande ja keine Nachbarn finden ließen.
Sind die quotenträchtigen „Tatorte“ im TV vielleicht nicht etwas zu laute Nachbarn? Gibt es im Fernsehen denn tatsächlich ein Umfeld für ein so stilles Krimidrama wie „Toter Mann“?
Nun ja, ich hoffe nicht, dass diese Nachbarschaft desaströs endet.
Auf jeden Fall stellt „Toter Mann“ das Primetime-Publikum auf eine harte Probe. Schon der Einsatz von Popsongs bricht radikal mit den Konsumgewohnheiten des Zuschauers – man sieht ja nicht oft im Fernsehen, dass sich ein Mann und eine Frau Platten vorspielen.
„Toter Mann“ ist ja auch ein Liebesfilm. Indem sich die Charaktere Platten vorspielen, entblößen sie sich voreinander. Ich wollte da nicht den Rhythmus mit Musik aus dem Off vorgeben, sondern ihn aus der Szene selbst gewinnen. Die Musikdramaturgie im deutschen Fernsehen ist ja sonst unter aller Sau. Da muss die Musik anschaffen gehen. Die Songs werden aus einer Datenbank runtergeladen, um beim Zuschauer bestimmte Gefühle abzurufen. Manchmal erinnern mich TV-Produktionen auch an Frühstücksräume von Hotels, wo man die ganze Zeit zugedröhnt wird. Apropos: Ich habe einen Freund, der als Tourbegleiter mit der Gruppe Kraftwerk durch die USA gereist ist. Als er mit ihnen im Fahrstuhl in das 15. Stockwerk eines Hotels rauffuhr, plätscherte aus den Lautsprechern diese schreckliche Muzak. Einer der Musiker durchtrennte mit einer Nagelschere die Drähte zur Box. Diese Tat wollte ich sozusagen für das Fernsehen wiederholen.
Auch wenn Sie Musik sehr sparsam einsetzen – oft schreibt sie sich über Umwege in Ihre Filme ein. Als Sie an „Die innere Sicherheit“ arbeiteten, so haben Sie mal erzählt, hörten Sie ständig das Blumfeld-Album „Old Nobody“, das vom Einbruch des Privaten in die Politik handelt – genau wie Ihr damaliger Film.
Mit Blumfeld hatte ich später noch ein sonderbares Erlebnis: Als Kind haben mir meine Eltern immer das „Abendlied“ von Hanns Dieter Hüsch vorgespielt. Ich konnte es irgendwann auswendig. Bei den Vorbereitungen zu „Toter Mann“ habe ich es gemeinsam mit Nina Hoss gehört, und dann kam auf einmal die Blumfeld-Platte raus, wo eben auch dieses Lied drauf war. Da war ich total schockiert. Mir wurde bewusst, wie gleichgeschaltet Leute sind, die eine ähnliche Sozialisation gehabt haben. Wir haben das Lied dann immer wieder mit den anderen Darstellern gehört. Wir haben überhaupt viel Musik gehört. Die männliche Hauptfigur in meinem Film gehört ja zu diesen vereinsamten Männern um die 40 mit großer Plattensammlung. Die legen etwas auf, starren aus dem Fenster und gehen dann wie Piloten auf die Reise. Deren Gefühlswelt ist im gleichen Maße aus Songs zusammengesetzt wie die Kassetten, die sie aufnehmen – was ihre Empfindungen nicht weniger echt macht.
Sie scheinen der Musik mehr zu vertrauen als dem Wort. Geredet wird in „Toter Mann“ jedenfalls kaum.
Das gefällt mir so an Western: Da wird nicht viel gesprochen. In „Winchester 73“ etwa sucht James Stewart mit einem Begleiter über Jahre den verhassten Bruder. Irgendwann am Lagerfeuer wird er gefragt: „Wir reiten nun schon zehn Jahre zusammen, sind wir Freunde?“ James Stewart sagt: „Ja.“ Dann ist das Gespräch beendet. Das hat nichts mit manirierter Lakonie zu tun. Da setzen sich tatsächlich zwei Menschen ins Verhältnis zueinander. Anders als in den meisten Fernsehproduktionen, wo die Sozialisation der Figuren trotz endloser Dialoge niemals aus ihnen selbst heraus erklärt wird. Man hat das Gefühl, beim Fernsehen gibt es eine Art Sozialabteilung, wo ehemalige Kindergärtnerinnen die Biografien der Charaktere zusammenbasteln. Dabei muss man den Figuren – im Guten wie im Bösen – Respekt entgegenbringen.
Oft wird im deutschen TV ein zweifelhafter Revanchismus bedient. Im Tatort „Bestien“ etwa ließen Ermittler Beweise verschwinden, um eine Mutter zu schützen, die den Mörder ihrer Tochter tötet. Und im Grimmepreis-gekrönten „Tanz mit dem Teufel“, der wie Ihr Film von teamWorx produziert wurde, werden einfache Rachemuster durchgespielt. Darf man sich nicht ernsthaft mit dem Täter auseinander setzen?
Ich habe mich bei der Arbeit an „Toter Mann“ viel mit der Opferforschung beschäftigt. Auch mit dem „Weißen Ring“. Sobald ein Täter vor Gericht steht, fragen die Vertreter dieses revanchistisch ausgerichteten Vereins, weshalb man sich überhaupt um ihn kümmert. Aber der Täter stammt ja aus der Gesellschaft, uns müssen also die Motive seines Handelns interessieren. Tatsächlich führt die Beschäftigung mit dem Opfer nicht weiter. Denn zur Rolle des Opfers gehört es ja, dass es der absoluten Willkür des Täters ausgeliefert ist. Über das Opfer, so schrecklich das ist, lernen wir nichts über den Charakter des Verbrechens. Wir müssen das Böse ernst nehmen.
Trotz der metaphysischen Schwere wird die erste Hälfte von „Toter Mann“ von einer sonderbaren Leichtigkeit bestimmt. Die Figuren schweben durch die aufpolierte Architektur Stuttgarts. Die Sonne scheint, aber es sind kaum Menschen zu sehen. Weshalb?
Stellen Sie sich vor, zwei Liebende würden sich in diesem Café, wo wir gerade sitzen, zu ihrem ersten Rendezvous treffen. Alle Gespräche und Gesichter würden in den Hintergrund gedrängt; das Paar würde in einer Blase verschwinden. Für dieses physische Gefühl wollte ich Bilder finden – aber nicht im Romantischen, sondern im Modernen. Man braucht wirklich keinen weiteren Liebesfilm, in dem eine deutsche Großstadt wie Paris aussieht.
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