: Der Osten wird jetzt doch russisch
Die neuen Nato-Mitglieder sehen durch die Annäherung an Moskau ihre eigenen Einflussmöglichkeiten in Gefahr
KRAKAU taz ■ Wer bringt in Afghanistan den besten Mix aus Jazz, Rock und Techno? Die Station heißt BFBS-1, ist Teil des British Forces Broadcasting Service und das Stadtradio in Kabul schlechthin. Auf 102,5 MHz sendet die Station rund um die Uhr alles, was die Jugend wünscht und was die Soldaten der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan (Isaf) aufmutert. Und darunter fallen eben auch die „slageri ruski“, die „Russenschlager“.
Russenschlager? Die Afghanen differenzieren nicht lange. Alles was in ihren Ohren slawisch klingt, steht für Russland – sehr zum Ärger der Polen, Tschechen und Bulgaren.
Die ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes hatten sich nach dem 11. September mit ihrem eindeutigen Engangement auf Seiten der US-Amerikaner im Kampf gegen den internationalen Terrorismus eine Aufwertung ihrer Rolle in der Nato versprochen. Diese Hoffnungen scheinen nun mit der neuen Annäherung zwischen Washington und Moskau zu platzen.
Nach außen hin wird in ersten Reaktionen zwar der Schein gewahrt: Vom Baltikum bis zum Balkan begrüßen die Militärexperten die Nato-Assoziation mit dem einst verhassten großen Bruder. „Wir sollten jeden Schritt begrüßen, der den Weltfrieden sichert“, erklärte etwa der polnische Präsident Aleksander Kwaśniewski, „jede Einbindung Russlands in die Nato-Strukturen kann nur nützlich sein.“
Hinter diesen verhaltenen Worten steht jedoch die Angst der Polen, ihre Rolle als geopolitischer Stabiltätsfaktor in diesem Teil Europas langfristig wieder zu verlieren. Warschau profitierte in den vergangenen Jahren enorm von seiner Nato-Mitgliedschaft und seinen Assozierungsverträgen mit der EU.
Polen gilt in Brüssel als demokratischer und wirtschaftlich stabiler Vorposten im Osten Europas. Denn in Weißrussland, der Ukraine und Moldawien ist von einem Aufbruch gen Europa zwölf Jahre nach der historischen Wende fast nichts zu spüren. Das Wirtschaftsgefälle diesseits und jenseits der polnischen Ostgrenze ist vergleichbar mit demjenigen zwischen den USA und Mexiko.
In dieser Situation ist der Westen auf Warschau angewiesen, und die Polen wissen dies für sich zu nutzen, sei es in der Frage nach der Zukunft der russischen Enklave Kaliningrad nach einem EU-Beitritt Litauens und Polens, sei es bei Transitvereinbarungen für russisches und ukrainisches Gas und Erdöl nach Westeuropa.
Ähnliche geopolitisch instabile Verhältnisse bestehen auf dem Balkan, wovon vor allem die Ungarn im vergangenen Jahrzehnt ihren Nutzen zogen, allmählich auch Rumänien und Bulgarien. So ist auch Jahre nach dem Krieg der legendäre Autoput, die Gastarbeiterroute gen Türkei, eine Geisterstrecke geblieben. Die Autokarawane zieht längst über Budapest, Bukarest und Sofia Richtung Süden.
In Osteuropa zeigte man sich bis jetzt zuversichtlich, die Westeuropäer würden sich mit einem Sicherheitskorridor vom Karpatenbecken über die Karawanken zur Ostsee zufrieden geben und Russland habe seine geopolitische Rolle auf dem europäischen Kontinent für immer verloren.
Dieses Sicherheitskonzept wird von der EU im Allgemeinen geteilt, doch nun haben die USA, die die Osteurpäer stets als wichtigsten Fürsprecher für ihre Aufnahme in die Nato betrachteten, für einen Kurswechsel gesorgt.
Noch weiter gehende Konsequenzen hat die Russland-Nato-Annäherung allerdings für die südwestlichen Balkanstaaten und die Ukraine. Nato-Generalsekretär George Robertson erklärte kürzlich: „Im Herbst wird es beim Nato-Gipfel in Prag eine Erweiterung um bis zu sieben Neumitglieder geben.“ Darunter fallen unter anderem die baltischen Staaten, Rumänien und Bulgarien. Dem Wunsch Kiews, in die Nato aufgenommen zu werden, stehen die USA zurückhaltend gegenüber. Er sei gespannt auf die Vorstellungen der Ukraine, sagte Außenminister Powell in St. Petersburg am Wochenende. Der Zeitpunkt, um ein formelles Aufnahmeverfahren zu eröffnen, sei jedoch „ein ziemliches Stück entfernt“.
ROLAND HOFWILER
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