Inszenierte Realität

„Kiosk“: Eine Ausstellung über die Historie der Fotoreportage von 1839 bis 1973 im Altonaer Museum

Wann haben Sie sich das letzte Mal eine Zeitschrift aufgehoben, weil sie besonders schöne Fotos und Reportagen enthielt? - „Die alten Illustrierten sind sehr kostbares Altpapier“, sagt der Sammler und Fotojournalist Robert Lebeck, der über zwölf Jahre eine Sammlung historischer Fotoreportagen zusammengetragen hat, die im Altonaer Museum jetzt als Kiosk – Eine Geschichte der Fotoreportage 1839-1973 gezeigt wird.

Die erste Fotoreportage der Welt – über den Bau des Altonaer Bahnhofs 1845 – wurde noch nach Holzdrucken, basierend auf Daguerreotypien (eine Art Fotografie), angefertigt, die ab 1882 durch die noch heute üblichen Autotypien ersetzt wurden. Schnell entdeckten die Fotografen ein breites Themenspektrum: Technik, Naturkatastrophen, Kriegsszenarien sowie Milieustudien beherrschen die Reportagen. Die Redakteure und Layouter der Illustrierten schufen mit Doppelseiten und ganzseitigen Fotocollagen die passende Formsprache. Allein anhand der Titelbilder der Berliner Illustrirten Zeitung und AIZ (Arbeiter Illustrierte Zeitung) mit John Heartfiels berühmten Hitler-Collagen und der amerikanischen Life- und Look-Magazine könnte Geschichte erzählt werden.

Auch die Fotoreportage unterlag immer wieder der Nutzung durch Künstler und Instrumentalisierung zur Politikpropaganda. Erstere schufen mit dem in der Schau präsentierten „Tennis in Schattenspielen“ von Paul Wolff oder der künstlerischen Illustrierten UHU eindrucksvolle Werke. Neben einem Schaukasten mit den Heften der UdSSR im Bau, gestaltet von Alexander Rodtschenko, und dem französischen Journal VU, das die seriellen Elemente der NS-Formsprache für seine Titelgestaltung nutzte, führt ein kurzer Gang mit Portraits von Göring, Hitler und Stalin auf der Linken und Leni Riefenstahls Olympia-Aufnahmen auf der Rechten zum Gangende: „Die Wahrheit über Dachau“. Ideologische Inszenierung trifft auf erschütternde Realität. In der Nachkriegszeit rücken der Wiederaufbau und die Entdeckung fremder Länder ins Zentrum der Fotoessays. Insgesamt ist die Ausstellung zwar chronologisch angelegt, eröffnet durch die Hängung aber auch Querblicke auf formale und thematische Verwandtschaften der des fast vergessenen und heute kaum noch produzierten Genres der Bilderzählung.

Christian T. Schön

Kiosk – Eine Geschichte der Fotoreportage 1839–1973: Altonaer Museum, Museumsstr. 23, Di–So 10–18 Uhr, Katalog 39 Euro; bis 11. August