peter ahrens über Provinz: Letzte Auffahrt Emden-Wolthusen
Gerhard Schröder ist sich treu geblieben: Egal ob George Bush oder ein Ostfriese etwas sagt, er lacht ganz, ganz laut
Als in meinem Fernsehapparat vor Tagen ein paar Orangebewamste an einem Hauptstadt-Gullydeckel herumschraubten, damit der Staatsgast aus Amerika dort nicht versehentlich hineinfällt, fühlte ich mich an meine Kindheit erinnert. An die erste Berlinreise, Klassenfahrt mit der 10 d. Im Bus näselten die Stranglers „Golden Brown“, der Klassenlehrer hatte Karten für das Schiller Theater und die Philharmonie besorgt, doch die Busladung rotwangiger und glühohriger 15-jähriger Jungs aus dem Westfälischen landete zuvörderst und wiederholt in den Peepshows am Bahnhof Zoo.
So etwas gab es daheim nicht, es dauerte Jahre, bis sich direkt am Franziskanerkloster der erste Sexshop der Stadt etablierte, an dem wir halb gesenkten Blickes vorbeischlichen. Fast wie der Klassenlehrer an den besetzten Häusern bei dem Berlin-Besuch, nachdem er uns zuvor darauf getrimmt hatte, der Stadtführerin aus Ostberlin unbedingt die Frage nach dem Wehrkundeunterricht zu stellen. Es waren halt die wilden 70er-Jahre in Paderborn. Wahrscheinlich waren es sogar schon die frühen 80er. Ist aber meines Wissens nach noch in keiner Oliver-Geissen-Show zitiert worden.
Als alle Gullydeckel zugeschraubt waren, hat der Bundeskanzler Currywurst (für 6 Euro – ein Fall für Frau Künasts Teuro-Gipfel) gegessen. Und immer wenn sein Freund W. aus Amerika (Apfelstrudel 4,90 Euro, nicht dran verschluckt) was gesagt hat und eine Kamera in der Nähe war, hat er ganz laut gelacht und dabei ganz weit den Mund aufgerissen.
Das hat er immer schon gemacht, auch damals, als er noch kein Bundeskanzler war, sondern nur Regent eines unbedeutenden Bundeslandes, das immer nur dann in den Zeitungen der großen Städte auftaucht, wenn mal wieder ein warzennasiger Hühnerbaron seinen Tieren irgendwelche Schweinereien zu essen gegeben hat oder genmanipulierte Kühe den Pfahlsitzerwettbewerb im Heide-Park Soltau für sich entschieden haben. Dann schütteln alle die Köpfe und wundern sich, dass dieses Land Niedersachsen überhaupt noch da ist und dass es da außer Krebs erregendem Federvieh und Möwen, die Maul- und Klauenseuche auf die Deiche scheißen, auch noch ein paar Menschen gibt.
Gibt es aber, in Ostfriesland zum Beispiel, und die hat der Bundeskanzler, als er noch keiner war, auch immer gerne besucht. Weil er sich dann stets fest darauf verlassen konnte, dass ihm ein paar originale Ostfriesen vorgeführt wurden. Solche, die den Mund nur aufbekommen, wenn sie Tee trinken, und die das Fischerhemd auch des Nachts nicht ausziehen. Die haben dann für den prominenten Gast ein paar Shantys gesungen, natürlich „Wo die Nordseewellen trekken an den Strand“, dann gab es einen Schnaps für den berühmten Besucher, der hat ganz laut gelacht und dabei ganz weit den Mund aufgerissen, jedes Mal wenn einer im Fischerhemd etwas zu ihm gesagt hat. Was selten war, weil die ja nie was sagen.
Dann hat man ihm noch eine Boßelkugel hingehalten, die hat er für die paar Fotografen von den Heimatzeitungen einmal in den Graben geworfen. Mit den Fotografen hat er danach noch ein bisschen herumgeschäkert und ihnen gesagt, sie sollen ihn bloß nicht fotografieren, wenn er eine Treppe heruntergeht, sondern nur, wenn er sie hochsteigt. Dann hat er noch mehr gelacht, auf die Uhr geguckt, ist in seinen Volkswagen aus Wolfsburg gestiegen, die Autobahnauffahrt Emden-Wolthusen hinauf und wieder abgefahren ins ferne Hannover.
Keiner weiß, wo das genau liegt. Aber alle Ostfriesen haben danach wieder artig ihr Kreuz bei der SPD gemacht, wie sie das immer gemacht haben, wenn ihnen der Mann aus Hannover gesagt hat, dass das diesmal ganz besonders wichtig ist.
Und der Mann aus Hannover hat in seinem Volkswagen gesessen und auf der Rückfahrt bei sich gedacht: Tee trinken, nie sprechen, Shanty singen, SPD wählen – so ist er, der Ostfriese. Dabei gibt es in Wahrheit auch Ostfriesen, die Kaffee trinken. Außerdem sabbeln ganz viele von ihnen in Wirklichkeit ungefragt den lieben langen Tag. Das Einzige, was man tatsächlich definitiv über diesen Volksstamm sagen kann, ist, dass er einer gewissen Neigung zur sexuellen Promiskuität frönt. Aber das kann man einem hohen Gast bei einem offiziellen Besuch ja nicht so gut vorführen.
Fragen zur Provinz?kolumne@taz.de
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