: Klassenkampf im Parlament
Eklat in der Bürgerschaft bei der Schuldebatte: Schulsenator Lange beschimpft die eigene Behörde, SPD und GAL verlassen wütend den Saal. Lehrerzahlen wurden auch noch genannt: jeder zehnte Gesamtschullehrer fällt weg
von SVEN-MICHAEL VEIT und KAIJA KUTTER
Der Befreiungsschlag des Senators provozierte einen Kampf um die Klassen: Wütend verließen die Fraktionen von SPD und GAL den Plenarsaal der Bürgerschaft unter dem Beifall der drei Regierungsfraktionen. Schulsenator Rudolf Lange (FDP) hatte die Opposition auf die Palme gebracht. Die Fragestunde hatte er zu massiven Beschimpfungen einzelner Beamter seiner Behörde genutzt – oder „missbraucht, um von seiner eigenen Unfähigkeit abzulenken“, wie GAL-Fraktionschefin Krista Sager fand. Britta Ernst, Schulexpertin der SPD, warf Lange die „Missachtung der Bürgerschaft“ vor. Er sei seiner Aufgabe „nicht gewachsen und greift deshalb zu politischen Schmähungen“.
Lange hatte eine Frage der GAL-Abgeordneten Christa Goetsch nach der tatsächlichen Zahl der Hamburger Lehrer zu einem Rundumschlag gegen seinen Landesschulrat Peter Daschner genutzt. Dieser hätte keinen Überblick gehabt, er sei deshalb „unakzeptabel für mich“. Auch über „die Qualifikation weiterer leitender Beamter bin ich entsetzt“, polterte Lange. Es werde „zu personellen und dienstrechtlichen Konsequenzen“ kommen.
Goetsch fand diese „öffentliche Hinrichtung eines Beamten ungeheuerlich“. Dieser habe keien Möglichkeit der Gegenwehr, und deshalb sei Langes Verhalten „feige“. Regierungschef Ole von Beust forderte sie auf: „Schmeißen Sie diesen Senator raus, er ist ein Schaden für die Demokratie und den Parlamentarismus in Hamburg.“ Lange, äußerlich ungerührt, beantwortete die ursprünglich gestellten Fragen von Goetsch vor halbleerem Saal. Danach sieht der Stellenplan 14.167 Lehrer vor, davon seien 13.744 Stellen besetzt, durch den Behördenetat finanziert seien jedoch nur 13.533. Deshalb müsse zum Beginn des nächsten Schuljahres eine „unangenehme Anpassung“ vorgenommen werden: 345 Lehrerstellen sollen abgebaut werden. Und zwar vornehmlich bei den Gesamtschulen, die auf neun Prozent ihrer Lehrerstellen verzichten müssen. Berufsbildende Schulen müssen vier Prozent abbauen und Gymnasien drei. „Keine Reduzierungen“ werde es bei Grund-, Haupt- und Real- sowie bei Sonderschulen geben. Damit nahm Lange eine interne Festsetzung seines Staatsrates Reinhard Behrens zurück. Dieser hatte vorige Woche auch bei diesen Schulformen Kürzungen bis zu acht Prozent vorgesehen.
Zeitgleich zum Eklat in der Bürgerschaft fand in der Behörde die überfällige Information für die Personalräte durch Staatsrat Behrens und Landesschulrat Daschner statt.Statt der gewohnten umfangreichen Information über geplante Versetzungen, Schülerzahlen und Klassenstärken bekamen die Personalvertreter nur einen dürren Brief in die Hand, der in diesen Tagen auch an alle Schulleiter verschickt wird. Darin wird ebenfalls der Abbau von 345 Stellen bis zum August angekündigt, der die Klassenstufen 5 bis 10 an den Gesamtschulen sogar mit 10,3 Prozent trifft. Die Oberstufe dieser Schulform wird dagegen mit den übrigen Gymnasien gleichgestellt um 3 Prozent gekürzt. „Damit wird klar, sie wollen das integrierte System austrockenen“, sagt GEW-Chefin Stefanie Odenwald. Eine Nachricht, die auch die Gesamtschul-Abteilungsleiter in der Behörde fassungslos machte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen