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Zwischen Traum und Trauma

Ein Jahr als Au Pair in den USA: Über Kinderkacke an der Wand, kleine Tyrannen, die große Einsamkeit und das Glück, etwas geschafft zu haben, das stark und den Horizont weiter macht

von STEFANIE FREUND

Ein Jahr weg, ganz allein – ein Traum wird wahr: Nach 13 Jahren Schulalltag liegen 13 Monate USA vor mir.

Sie beginnen in New York: Vier Tage lang werden 200 werdende Au Pairs mit Informationen überschüttet: Aufgaben, Verhalten amerikanischer Kinder, Verbote, kulturelle Unterschiede, Problembewältigung und -vermeidung. Und dann beginnt mein Leben als Au Pair – in Pennsylvania. Nach einer Stunde Zugfahrt lerne ich die Frau kennen, die meine Gastmutter sein soll. Sie spricht sehr schnell, ihren Akzent kann ich kaum verstehen. Sie arbeitet in der höchsten Etage einer großen Bank. Ihr Mann ist ein berühmter Erfinder. Und ich versorge ab sofort drei verzogene und eigensinnige Kinder. Die fünf Monate alte Sarah, der vierjährige Bradley und der zweieinhalbjährige Dylan kennen kein „Nein“. Woher auch? Die wenige Zeit, in der die Eltern für sie da sind, dürfen sie alles.

Ich bin häufig überfordert. Schon mit Sarah wäre ich ausgelastet. Füttern, in den Schlaf wiegen, Bettchen machen, Windeln wechseln, Wäsche waschen. Doch da sind auch noch Bradley und Dylan. Jedes Kind ringt um meine Aufmerksamkeit. Dafür setzt sich Dylan eines Tages sogar in mein Zimmer, fasst sich in die vollen Windeln und schmiert die Kacke an die Wände. „Bei mir machen die Kinder das nicht“, sagt meine Gastmutter dazu nur und fragt mich, ob ich glaube, dass Au Pair das Richtige für mich sei. Ich glaube, sie kann mich nicht leiden; ich fühle mich einsam und unwohl. Mit größter Mühe versorge ich gut zehn Stunden am Tag die Kinder und helfe anschließend noch bei dem anstehenden Umzug in eine riesige Villa mit Bibliothek, Fitnessraum, fünf Bädern und einer Garage für drei riesige Autos.

Immer wieder gibt es Konflikte. Ich telefoniere oft mit zu Hause. Meine Eltern raten mir, zurückzukommen. Aber ich will lieber die Familie wechseln. Die Beraterin in der Au Pair-Agentur ist hilfsbereit, und ich lande bei einer Familie in New Jersey. Mein Tag beginnt um 7.30 Uhr: Frühstück machen für Brian, Drew und Kyle. Die 13 Monate alten Zwillinge Drew und Kyle lernen gerade, selbständig zu essen und zu trinken. Der fünfjährige Brian liebt es, seine Geschwister zu ärgern. Entsprechend ist das Frühstück. Beim Spielen verteilt Brian seine 100 Pokémon-Figuren in der Küche, Kyle durchwühlt Schubladen und Drew bastelt am Videorecorder. Ein Kind nörgelt immer. Hunger, Durst, volle Windeln, Sehnsucht nach Mama, Streitereien und ständiges Verlangen nach Aufmerksamkeit – ich sehe dieses Jahr als Au Pair mehr und mehr als persönliche Herausforderung. Die Zwillinge sind anstrengend, aber sie wachsen mir sehr ans Herz. Sie geben mir das Gefühl, gebraucht zu werden. Denn seit sie acht Wochen alt sind, nehmen sich die Eltern kaum Zeit für sie. Der Vater ist Ingenieur und viel unterwegs, die Mutter Wirtschaftsprüferin.

Mein Arbeitstag endet gegen 19.30 Uhr. Danach gehe ich erschöpft auf mein Zimmer. Manchmal, wenn die Babys den ganzen Tage geschrien haben, muss ich nur noch weinen. Glücklicherweise lerne ich andere Au Pairs kennen, fast alle haben Probleme in ihrer Familie. Der Erfahrungsaustausch hilft. Am Wochenende fahren wir nach New York, tanzen, feiern und schalten ab. Nach 45 bis 60 Stunden Babysitten pro Woche muss ich unter Erwachsene.

Herzlich sind auch diese Gasteltern nicht gerade, dafür darf ich ein Auto benutzen und habe die Wochenenden frei. Da Au Pairs in den USA nur zehn Tage Urlaub im Jahr bekommen, verdiene ich mir mit Überstunden lange Wochenenden und reise nach Washington D.C., Philadelphia, Florida und zu den Niagarafällen. Am Ende belohne ich mich mit einer zweiwöchigen Reise durch Kalifornien, Nevada und Arizona. Als ich am Grand Canyon sitze, überkommt mich ein Glücksgefühl. Ich habe es geschafft. Ich habe durchgehalten. Die Erfahrungen der vergangenen 13 Monate haben mich stärker gemacht, mein Horizont hat sich erweitert, meine Lust auf das Leben ist gewachsen. Und ich denke englisch.

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