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Die Gauchos sind voll im Plansoll

Aus den Kindern Maradonas ist ein verschworenes Kollektiv unter der Führung von Kapitän Juan Verón geworden. Nigeria unterliegt den argentinischen Konzeptfußballern durch ein Kopfballtor von Gabriel Batistuta

IBARAKI taz ■ Eigentlich wollte Gabriel Batistuta gar nicht reden. Nicht über sich und auch nicht über sein Tor, mit dem er für den perfekten Start der argentinischen WM-Tournee gesorgt hatte. Ganz egal, wie energisch die Reporter aus Buenos Aires ihrem alten Nationalidol auch die Mikrofone hinstreckten. „Batigól“, über ein Jahrzehnt einer der gefürchtetsten Torjäger der Welt, hatte wieder getroffen, als sein Land unbedingt ein Tor brauchte.

Doch der vermeintliche Held hat sich nicht aus der Reserve locken lassen, er wiegelte jedes lobende Wort zu seiner Person ab. „Unsere Abwehr war beeindruckend“, sagte Batistuta, den Verteidigern gebühre alles Lob. Denn die hätten bis auf zwei Schüsse von Okocha den Nigerianern keinerlei gefährliche Aktionen zugelassen. Dann wies er seine Landsleute noch auf den Einfluss des Trainers Bielsa hin. Der habe nämlich in der Halbzeitpause alle beruhigt, weil da Nervosität aufkam. „Regt euch nicht auf, macht ganz entspannt weiter, irgendwann wird das Tor schon fallen.“ Es ist dann nach einer guten Viertelstunde gefallen, genau nach Plan.

Wie immer hat Juan Verón die Kugel im Bogen und dennoch sehr hart zum hinteren Torpfosten geschlagen, so präzis, wie man das sonst nur von Golfern kennt. Zuvor hatten jedes Mal Winzigkeiten am Abschluss gefehlt, für den entweder Batistuta oder der aufgerückte Pochettino, ebenfalls ein Kopfballspezialist, zuständig waren. Dass den groß gewachsenen Verteidigern Nigerias nichts einfiel, um sich gegen die immer gleiche Eckballvariante zu wehren, beweist, wie eifrig das gesamte Team Standardsituationen einstudiert hat. Aber reicht dieser Fleiß auch aus, um in vier Wochen die beste Fußballmannschaft auf dem Planeten zu sein?

Dem Naturell jener zwei WM-Teams, die 1978 und 1986 dominiert hatten, entspricht dieser Stil gewiss nicht. Ästheten werden sich schwer in diese Generation von Fußball-Gauchos verlieben. Ja, man kann sogar verstehen, dass in Bielsas Kader für den Virtuosen Juan Roman Riquelme, Südamerikas Fußballer des Jahres 2001, genauso wenig Platz war wie für Javier Saviola. Der hat als Kapitän, Spielmacher und Torjäger Argentiniens Junioren zum WM-Titel geführt; viele sehen in dem 20-Jährigen den rechtmäßigen Erben Maradonas. Bielsa aber kann keine Primadonnen gebrauchen. Sein Konzept ist aufs Kollektiv ausgelegt. Als Leihgabe dient Berti Vogts’ berühmter Satz: „Der Star ist die Mannschaft.“

Dieses Motto verträgt trotzdem einen Anführer, an dem sich alle ausrichten: Regisseur Verón, der einem Team Visionen geben kann. Im Gegensatz zu vielen anderen Spielmachern lebt Verón vor, dass Fußball nicht nur ein Kopf-, sondern auch ein Kampfspiel ist. Der Kapitän steht als Symbol. Ein Tattoo am rechten Oberarm, barhäuptig und bärtig im Erscheinungsbild, verkörpert er geradezu seinen Beruf. So furchtlos muss der Chef einer modernen Fremdenlegion aussehen: „Wir wollten der Welt zeigen, dass wir eine Mannschaft sind, und wie wir Argentinien hier vertreten“, sagte Verón. Mittlerweile leben die Besten davon längst als Multimillionäre in Villen oder Luxus-Apartments in Rom, Mailand, Manchester oder Valencia. Trotzdem wissen sie ganz genau, was sie ihrer Heimat und den Fans am Rio de la Plata schuldig sind. Sie müssen gewinnen, sie dürfen nicht verlieren.

Deshalb hat dieses Team, dessen Mitglieder überall bei ihren europäischen Arbeitgebern Spitzenpositionen besetzen, eine Spielweise gewählt, die sich an ihrem schwächsten Mann orientiert. Das ist ohne Zweifel der Torwart. Doch solange sie ihre Achillesferse Pablo Cavallero so gut schützen und möglichst viele Bälle bei Verón abliefern, wird es um die argentinische Sache in Asien gut bestellt sein.

MARTIN HÄGELE

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